Die Zeugin: Thriller (German Edition)
Verbrechen in seinem Vorstrafenregister drehen sich nur um Geld und Profit. Das passt nicht.« Sie wandte es um. Die Rückseite war leer. »Wo sind seine Verbindungen zu extremistischen Gruppen oder zu Gefängnisbanden wie der Aryan Brotherhood?«
»Gibt es nicht.«
»Also ein Riesenloch statt einem Motiv.«
»Irgendein Motiv muss es geben.«
Das Bild des Kriminellen packte sie. Churchs Augen leuchteten wild, vielleicht vor chemiebedingtem Zorn. »Wie hast du den Typen aufgespürt?«
»Wann musst du im Gericht sein?«
»Um halb zehn. Warum?«
»Sylvester Churchs Name ist nicht das Einzige, was ich gefunden habe. Hast du noch Zeit für eine kleine Fahrt?«
Seth, die Überraschung in Person. Wie hatte sie das je vergessen können? »Also los.«
I n Seths neuem Pick-up, einem schwarzen Tundra, machten sie sich auf den Weg Richtung Stadtmitte. Gleißend stand die Sonne am Himmel. In den Schatten glitzerte auf dem Gras der Reif. Um sie herum Vormittagsverkehr: Schulbusse, Farmwagen, Pendler beim Kaffeetrinken oder SMS -Tippen oder beidem gleichzeitig. Rory hatte noch eine Blitzdusche genommen, das Haar hing ihr feucht über die Schultern.
Noch immer hatte sie Sylvester Churchs Vorstrafenregister in der Hand. »Wie bist du da drangekommen? Hast du mit jemandem bei der Polizei von Ransom River geredet?«
»Nein. Ich habe ein paar Kontaktleute angerufen, um Informationen zu verifizieren. Aber erst nachdem ich es selbst rausgefunden hatte.«
»Und was hast du rausgefunden?«
»Die zwei Bewaffneten sind zum Gericht gefahren. Allein.«
»Ganz sicher?«
»Hinter dem Gebäude wurde ein parkender Chevy Blazer entdeckt.«
»Hast du ihn selbst gesehen?«
»Nur in den Nachrichten, wie Millionen andere Leute. Wurde gerade auf einen Abschleppwagen gehoben. Daher weiß ich, dass sie allein waren und niemanden dabeihatten.«
Sie überlegte. »Wenn sie einen Fluchtfahrer gehabt hätten, wäre er mit dem Blazer unauffällig verschwunden, als es brenzlig wurde.«
»Vermutlich.«
»Bevor Judge Wieland angeschossen wurde, haben die zwei Maskierten vier von uns aufgefordert, mit ihnen ins Richter zimmer zu gehen. Ich wusste nicht …« Ihre Stimme bebte. »Ich hatte keine Ahnung, was sie mit uns vorhaben. Ich dachte …« Kurz roch sie wieder Pulver und hörte die Schreie.
Seth warf ihr einen Blick zu. »Rory, alles klar bei dir?«
»Sie wollten uns aus dem Gerichtssaal rausbringen, aber ich … ich hatte Angst, dass …«
Die Stimme entglitt ihr. Alles entglitt ihr. Sie ballte die Hände im Schoß zu Fäusten, um ihr Zittern zu verbergen.
Nach einer Weile konnte sie wieder klar sehen. Sie emp fand Erleichterung, so stark, dass sie fast geweint hätte. »Aber wenn draußen ein großer Geländewagen für die Flucht geparkt war, dann wollten sie uns sicher dort hinbringen.«
»Was dachtest du denn?« Seth zögerte. »O Gott. Du hast geglaubt, sie wollen dich töten.«
Sie schloss die Augen. Als sie sie wieder aufschlug, streckte Seth die Hand nach ihr aus. Eine automatische Geste, um sie zu trösten. Doch er unterbrach sich mitten in der Bewegung. Statt sie sanft zu berühren, machte er eine Faust und klopfte ihr an die Schulter. Ein gespielter Boxhieb, fast wie in ihrer Kindheit.
Trotzdem beruhigte es sie. Die alles beherrschende Panik aus dem Gerichtssaal löste sich wieder auf. Sie fühlte sich leichter. Die vier Geiseln waren nicht zur Exekution im Richterzimmer ausgesucht worden.
»Die Bewaffneten wollten also mit dir fliehen«, rekapitulierte Seth. »Das finde ich interessant.«
»Und beängstigend. Irgendjemand hatte es gestern auf mich abgesehen. Daran wird sich bis heute nichts geändert haben.«
Er bog auf eine breite Allee Richtung Zentrum. Obstplantagen wichen beengten Wohnsiedlungen mit herbstroten Ahornsetzlingen. Sie passierten einen Park mit morgendlichen, von Hunden begleiteten Joggern. Die Schaukeln auf dem Spielplatz waren leer.
»Da ist noch was«, erklärte Seth. »Kriminelle wie Sylvester Church, die Erfahrung mit solchen Aktionen haben, wissen, dass ein einzelnes Fluchtauto nicht reicht.«
Neugierig wandte sie sich ihm zu.
»Bei einem gut geplanten Raubüberfall wechseln die Täter das Fahrzeug. Mit dem einem Wagen fliehen sie vom Tatort, dann steigen sie in einen zweiten um. Entweder sie treffen sich dabei mit Komplizen, oder sie nehmen einen Wagen, den sie vorher irgendwo abgestellt haben.«
»Du meinst, Church und sein Partner hatten irgendwo ein Auto zum Wechseln?«
»Gleich
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