Die Zeugin: Thriller (German Edition)
nachdem ich gesehen habe, wie der Blazer verladen wird, habe ich mich auf die Suche danach gemacht.«
»Und du hast es entdeckt.«
Mit unbewegter Miene fuhr er weiter. »Willst du es sehen?«
»Parkt es an einem Ort, wo es von Überwachungskameras erfasst wird?«
Er stieß einen anerkennenden Laut aus. »Schlaues Mädchen.«
»Die Cops halten mich für die Insiderin. Da tue ich mir keinen Gefallen, wenn ich mich beim Wechselauto filmen lasse.«
»Keine Kameras. Das hat Church sicher bedacht.«
Nacheinander kamen sie an mehreren Kirchen vorbei: die katholische St. Joseph’s, die First Presbyterian, die Assembly of God, die Unitarian Church und die Iglesia Pentecostal. Sie kreuzten die Querstraße, die zum Gemeindezentrum und zum Gerichtsgebäude führte. Rory wandte unwillkürlich den Kopf. Schnurgerade wie der Querbalken eines H lief der von Bäumen gesäumte Boulevard über das Tal. Drei Kilometer hinter einer langen Reihe von Ampeln, die grün, gelb und rot das Geschehen in der Stadt steuerten wie ein elektrischer Puls, erhob sich das Gericht.
Seth wirkte konzentriert und gespannt. Diese Miene war ihr vertraut, doch jetzt verbargen sich dahinter zwei Jahre, von denen Rory nichts wusste.
»Was machst du eigentlich inzwischen?«, fragte sie.
»Ich arbeite in L. A. und wohne in Santa Monica.«
Sie wollte nachhaken: Frau, Kinder, Harem, neue Fetische? Peitschenschwingende Dominas? Meine Güte, wieso ging ihr so was durch den Kopf?
»Hast du endlich die Werkstatt für exotische Chia-Figuren eröffnet, von der du immer geträumt hast?«
Er lächelte. »Ich sitze den ganzen Tag in einem Bundesamt hinter dem Schreibtisch und prüfe ungeklärte Kriminalfälle.«
Sie zog die Braue hoch. »Bist du jetzt beim FBI ?«
»Nein. Ich arbeite für eine Abteilung, die abgeschlossene Fälle und Einsprüche gegen Verurteilungen bewertet und Justizirrtümer aufklärt.«
»So wie das Innocence Project?«
»Genau, nur eben für bundespolizeiliche Fälle. Warum? Willst du meine Karte?«
»Wahrscheinlich bin ich nur überrascht.« Den Rest ließ sie ungesagt: Seth hinter einem Schreibtisch?
»Es ist ein Job. Mit einem Gehalt für jemanden, der nicht mehr durch brennende Reifen springen kann.«
Etwas in seinem Ton ließ sie aufhorchen. »Alles in Ordnung?«
»Hab noch alle meine Finger und Zehen. Und manche meinen sogar, dass ich noch alle Tassen im Schrank habe.«
Sie rollten an einer Einkaufsmeile entlang, die so kalifornisch war, dass sie in fünftausend Jahren als archäologische Grabungsstätte dienen konnte. Taco Bell, In-N-Out, Applebee’s, Jack in the Box und Burger King. Ein Eldorado für Teenager. Daneben erhob sich eine Riesenscheune mit Schlaf zimmer- und Badeinrichtung: zehn Hektar Ausstellungsfläche voller flauschiger Kissen, Daunendecken und breiter Doppelbetten. In der fünften Klasse waren sie und Seth einmal nach der Schule mit dem Fahrrad hingefahren. Im 7-Eleven kauften sie sich Slurpees und eine Sports Illustrated und setzten sich auf den Bordstein, um mit Strohhalmen ihre blaue Limonade zu schlürfen. Um aus der Hitze zu kommen, schlossen sie die Räder ab und spazierten in den Bettenpa last. Es war kühl und mild, und alles vom Boden bis zur Decke schien gepolstert. Die Schlafzimmerauslagen waren fantastisch. Wie das Weiße Haus, dachte Rory. Und irgendwie verfiel sie auf die Idee, dass sie sich im Fall einer Katastrophe in dem Laden verstecken konnten, bis die Army kam. Stundenlang streiften sie umher und überlegten, für welches Schlafzimmer sie sich entscheiden sollten, falls Ransom River von der Apokalypse ereilt wurde. In dem Polsterparadies gab es auch ein Starbucks, da würden Essen und Getränke nicht so schnell ausgehen.
»Erinnerst du dich noch an unseren Infernotag hier?«, fragte sie.
»Du warst wirklich seltsam als Kind.«
»Immerhin wäre ich als Einzige auf den Worst Case vorbereitet gewesen.«
Plötzlich wurde ihr klar, wie weit ihre Angst vor einem drohenden Unheil zurückreichte. Sie hatte sich schon immer eingebildet, einen Fluchtplan und ein sicheres Versteck zu brauchen.
»Riss hat eine Zeit lang dort gearbeitet.«
Seth prustete. »Nerissa als Fachverkäuferin für Daunendecken und Wasserbetten.«
»Ja, wirklich.«
Hinter dem Bettenpalast lag in der Nähe einer Autobahn auffahrt ein kleineres Einkaufszentrum. Dort gab es unter anderem ein Sonnenstudio, ein vietnamesisches Nudel restaurant und eine Handleserin. Und eine Tankstelle mit Autowaschanlage, in die Seth
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