Die Zeugin: Thriller (German Edition)
Welt.«
»Nein, das stimmt nicht.« Sie krümmte sich von seiner Hand weg. »Du bist mein Cousin.«
»Schsch«, machte er erneut. »Zeig mir einfach deine Titten. Wenn ich sie angefasst hab, sind wir quitt.«
»Nein.«
»Wovor hast du denn Angst? Ärzte schauen den ganzen Tag Titten an. Babys lutschen daran. Im Einkaufszentrum, mitten im Café. Jetzt hab dich nicht so.«
»Hör auf.«
Sie zerrte an seinen Händen, aber er war größer und schwe rer und schob sie immer weiter nach hinten zu ihrer Kommode an der Wand.
»Cousins dürfen so was nicht«, ächzte sie.
»Blödsinn. Ich bin bloß dein Stief -Cousin.« Er neigte den Kopf und setzte ein merkwürdiges Lächeln auf. »Okay, du darfst mich zuerst anfassen.« Er nahm die Hände von ihr und zog den Reißverschluss seiner Jeans auf.
Mit aller Kraft stieß sie ihn nach hinten. Plötzlich bemerkte sie, dass die Tür zu ihrem Wandschrank offen war. Mit dem ausdruckslosen Gesicht einer Puppe starrte Riss sie an.
»Scheiße!«, schrie Rory.
Boone wandte sich zu seiner Schwester um. Sein Gesichtsausdruck sprach Bände. Jetzt hast du alles verdorben.
Riss verharrte reglos, ohne den Blick abzuwenden. Dann machte sie einen Schritt auf Rory zu. »Du bist so was von abartig.«
In diesem Moment klopfte es an der Tür. »Was ist da drinnen los?«, fragte eine Erwachsenenstimme.
Erleichtert lief Rory hin.
Hinter ihr zischte Riss: »Und so eine Loserin.«
Rory riss die Tür auf.
Im Gang stand eine Kollegin von ihrer Mom. Die Frau wirkte überrascht und gleichzeitig lehrerinnenhaft misstrauisch, weil man bei Kindern hinter verschlossenen Türen ja nie wusste. »Entschuldigung, ich dachte, das ist die Toilette.«
»Nein. Aber wir wollten sowieso gerade raus.«
Vielsagend schaute Rory die beiden anderen an. Boone drückte sich an ihr vorbei und vermied den Blick der Lehrerin. Auch Riss glitt wie eine wiederbelebte Puppe aus dem Schrank und tänzelte hinaus.
Rorys Herz hämmerte wie wild. Sie hatte Angst, sich übergeben zu müssen. Wie durch einen hellen Dunst sagte sie zu der Frau: »Zur Toilette geht’s durch die letzte Tür am Gang.«
Umringt von fröhlichem Geplauder, kehrte sie zurück in die Küche. Dann trat sie hinaus auf die Terrasse und holte sich eine Limo aus der Kühlbox. Ihr Dad wendete Burger und erzählte den Nachbarn, dass die Lakers in dieser Saison ziemlich mies drauf waren.
Amber lehnte in ihrem Gartenstuhl, in einer Hand ein Bier, in der anderen eine Zigarette. Rory strebte zum Avocadobaum, dessen Schatten auf die Rückwand des Hauses fiel. Ein idealer Kletterbaum mit robusten Ästen und glatter Rinde. Nachdem sie die Limo in eine Kerbe gestellt hatte, zog sie sich nach oben.
Die Blätter unter ihr bildeten einen schützenden Boden. Sie saß im Baum und öffnete die Dose, doch sie brachte keinen Schluck hinunter.
In der Küche lachte ihre Mom. Rötlich spiegelte sich das Sonnenlicht in den Terrassenfenstern. Im Wohnzimmer fläzten sich Riss und Boone vor dem Fernseher. Riss spähte durchs Fenster in Rorys Richtung.
Am Fuß des Baums bellte Pepper zu ihr hinauf.
»Jetzt nicht, Junge«, flüsterte sie.
Riss starrte noch immer.
Später, nachdem alle gegangen waren, entdeckte Rory, dass Onkel Lees Postkarten von der Pinnwand gerissen worden waren. Nur die Reißnägel steckten noch im Kork. Sie nahm sich vor, um ein Schloss an ihrer Tür zu bitten. Und an ihrem Fenster.
I n der folgenden Woche gewöhnte sich Rory an das Gefühl, dass Schweigen nicht Sicherheit bedeutete. Irgendetwas belauerte sie, ein Springteufel, der jederzeit aus seiner Schach tel schießen konnte. Später erfuhr sie durch einen Dokumentarfilm von einer Landmine mit dem Spitznamen Bouncing Betty. Wenn sie auf dem Gelände der Schule war, fühlte sie sich, als könnte sie jederzeit auf so eine Mine treten.
An einem Freitag fand Riss sie zwischen zwei Unter richtsstunden am Wasserbrunnen. Als Rory sich zum Trinken vorbeugte, spürte sie plötzlich ihre Anwesenheit. Langsam richtete sie sich auf und wischte sich die Lippen ab.
Riss trug ihr Puppengesicht zur Schau. »Genau. Lass den Mund zu. Ganz fest zu.«
»Ich weiß nicht, was du meinst.«
Riss lächelte wegwerfend. »Ist das dein neuer Plan? Alles vergessen?«
»Ich will nicht drüber reden.«
Der Ausdruck ihrer Cousine wurde höhnisch. »Alles vergessen ist eigentlich gar nicht so schlecht.«
Rory wandte sich ab und ließ sie stehen.
Riss holte sie ein. »Nichts ist passiert.« Sie lief neben ihr her und
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