Die Zeugin: Thriller (German Edition)
Verfolgungsjagd hast, kannst du mich vorher rauslassen.«
»Mitten auf der Straße? Allein? Wenn jemand hinter dir her ist?«
Bleierne Stille senkte sich herab.
Seth versuchte, ihr in die Augen zu sehen, doch er konnte es nicht.
Er wirkte wütend. Vielleicht auf sich. Vielleicht auf sie. Vielleicht auf die Situation. Seine Hände waren zu Fäusten geballt, als hätte er am liebsten auf irgendetwas eingeprügelt. Und wieder drückte seine Haltung Schmerz aus.
»Tut mir leid«, sagte er schließlich.
Sie konnte kaum noch geradeaus schauen, so heftig hämmerte ihr Herz. Was tat ihm leid? Das hier? Überhaupt alles?
»Rory?«
»Ich hab’s gehört.« Sie drückte den Kopf nach hinten ans Holz und schloss die Augen.
Sie wollte es ihm erklären. Die Welle der Gefühle in ihr war so stark, dass es sie fast von den Füßen gerissen und in seine Richtung geschleudert hätte.
Schau nicht zurück, es könnte dein Verhängnis sein.
Dann schlug sie die Augen auf. Er stand knapp vor ihr. So nah war er ihr den ganzen Tag noch nicht gekommen. Er war vertraut und schön. Und ein großes Hindernis. Sie rührte sich nicht vom Fleck. Wollte ihn küssen. Wollte ihm alles erklären.
»Es ist vorbei, Seth.«
34
Damals
»Ich muss dir von meiner Arbeit erzählen.«
An einem heißen Sonntagnachmittag lagen sie am Strand von Malibu. Unter einem blassblauen Himmel glitzerte Sonnenlicht auf dem Pazifik. An Rorys Schultern klebte Sand. Seths Haar war nass und strähnig.
Er rollte sich auf die Seite. »Ich werde ab jetzt öfter mal für zwei Wochen verschwinden.«
Nur wenige Kollegen bei der Polizei von Ransom River wussten von seiner Tätigkeit als verdeckter Ermittler. Die anderen dachten, dass er gekündigt und sich einen normalen Job gesucht hatte.
»Und einige Leute glauben, dass ich inzwischen ein Kleinganove bin. Zu denen gehörst auch du – zumindest in der Öffentlichkeit.«
Operation Sperrrad hieß die Sache. Später sagte Rory Operation Versautes Leben dazu. Es ging um die Aufdeckung illegaler Waffengeschäfte in Ransom River und im Nordwesten des Los Angeles County.
»Okay, dann bist du ab jetzt ein Ganove. Ich kenn dich nicht, hab dich nie gesehen. Dieses Gespräch hat nie stattgefunden. Wer bist du?«
»Wenn ich im Dienst bin, können wir uns nicht treffen. Ich kann dich nicht anrufen, und du mich auch nicht.«
Für seine Arbeit hatte er ein eigenes Handy. Einen eigenen Führerschein und Kreditkarten mit einem anderen Namen. Eine Tarnlegende.
»Also gut, ich spiele mit.« Eigentlich hätte sie es besser wissen müssen. Spiele waren noch nie ihre Stärke gewesen.
Und später in seiner Wohnung zog er sich an. Nicht Jeans und T-Shirt, sondern einen schwarzen Anzug und ein blaues Hemd, Sonnenbrille und Rolex. Dann fuhr sie ihn zu einer Garage. Als sie ankamen, war sein Lächeln verschwunden. Sein Gesicht wirkte wie Glas: glatt, leer, mit scharfen Kanten.
In der Garage wartete statt seines alten Yamaha-Fahrrads ein Mercedes. Nachdem er eingestiegen war, sah er sie nicht mehr an.
Sie fand das Ganze aufregend. Und vor lauter Aufregung entging ihr, dass das ein Spiel war, bei dem sie nur verlieren konnte.
Zum ersten Mal kollidierte Seths Scheinleben mit seinem echten an einem Donnerstagabend am Sunset Boulevard. In dem Club drängten sich zu Indierock exaltiert schnatternde Touristen, Nutten und Möchtegernstars. Seth und Rory fühl ten sich sicher in der Anonymität der Menge, weit entfernt von zu Hause.
Das Ambiente war eine Mischung aus dumpf und schmuddelig. Seth saß wie immer mit dem Rücken zur Wand. Eine Hand hatte er auf Rorys Bein, die andere an einer kalten Flasche Carta Blanca. Die Band war ein Abklatsch von Joan Jett and the Runaways.
Dann bemerkte Seth jemanden. Er stellte sein Bier auf den klebrigen Tisch und beugte sich vor, um Rory auf den Hals zu küssen.
»Verschwinde«, flüsterte er. »Mach ein schockiertes Gesicht.«
Vor Überraschung öffnete sie den Mund.
Er fuhr ihr mit den Fingern durchs Haar und schlang den Arm um sie. »Steh auf und geh raus. Tu so, als hätte ich dir an den Hintern gefasst und dich zu einem Dreier mit der Sängerin aufgefordert.«
»Was …«
»Fahr mit dem Taxi zum Beverly Center. Ich hol dich dort ab.«
Sie wich vor ihm zurück.
Er zerrte an ihr. »Reiß dich los und kleb mir eine. Hauptsache, du starrst mich stinksauer an und verschwindest.« Er drückte sie an sich. »Ab mit dir.«
Über diese Möglichkeit hatten sie gesprochen. Wenn plötz lich jemand
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