Die Zeugin
zweiten Bluterguà verursacht, der sich von einem Beckenknochen zum anderen erstreckte. Er strich mit der Hand darüber.
Abrupt schlug sie das Handtuch zu und hielt es fest zusammen. Er zog seine Hand darunter hervor. Sie wäre am liebsten weggelaufen, ermahnte sich aber, sich wie eine Ehefrau zu verhalten.
»Die Badewanne ist sehr tief«, sagte sie. »Selbst ohne Gips am Bein kommt man nicht leicht rein und raus. Ich schlage vor, daà ich dich mit dem Schwamm am Waschbecken wasche.«
Er erwog das kurz, schüttelte dann brüsk den Kopf. »Danke, ich schaffe es allein.«
»Bestimmt?«
Er sah kurz auf ihren Körper und wandte dann schnell den Blick ab. »Ja, bestimmt.« Er humpelte an ihr vorbei und machte die Badezimmertür hinter sich zu.
Kendall sank gegen den Türrahmen. Erst nach ein paar Minuten hatte sie ihr inneres Gleichgewicht wiedergefunden. Es würde wesentlich schwieriger werden, als sie gedacht hatte. Er war zu scharfsinnig, aber sie konnte gar nicht mehr anders als lügen, und zwar so gut, daà sie ihre Lügen allmählich selbst glaubte. Jetzt hatte sich ihr verläÃlichstes Fluchtmittel in eine gefährliche Falle verwandelt. Sie muÃte ihn loswerden.
Aber erst muÃte sie diese Nacht hinter sich bringen.
In der Schlafzimmerkommode fand sie ein sommerliches Nachthemd, das sie bei einem früheren Besuch hiergelassen hatte. Sie machte ihm das Bett und hatte eben die Kissen aufgeschüttelt, als sie hörte, wie sich die Badezimmertür öffnete; langsam kam er über den Gang.
Er trug nichts auÃer einem Paar Boxershorts, das sie am Morgen für ihn gekauft hatte. Das Haar auf seiner Brust war feucht. Er roch nach Seife, Zahnpasta, Mundwasser und lieà sich auf dem Bett nieder; jede Bewegung verriet, wie müde er war. Seine Gebärden wirkten, als wäre er dreiÃig Jahre älter, mit einem kränklich-grauen Gesicht.
»Leg dich hin«, sagte sie sanft. »Ich schiebe ein Kissen unter dein Bein.«
Sie half ihm, sich hinzulegen; er stieà einen langen, erleichterten Seufzer aus und schloà völlig erledigt die Augen. Sie hatte sich schon beinahe an die Blutergüsse und Abschürfungen, die eingesunkenen Augen und Wangenhöhlen gewöhnt. Aber jetzt sprangen ihr diese Hinweise auf seine Schmerzen überdeutlich ins Auge, und sie wurde von Mitleid ergriffen.
Sie schaltete die Nachttischlampe aus, damit ihn das Licht nicht blendete. »Hast du ein Aspirin genommen?«
»Mehrere.«
»Hoffentlich helfen sie dir durchzuschlafen.«
»Es wird schon gehen.«
»Also, dann sehen wir uns morgen früh. Gute Nacht.«
Seine Augen flogen auf. »Wohin gehst du?«
Sie wies zur Tür. »Ich werde auf dem Sofa im Wohnzimmer schlafen. Sonst komme ich in der Nacht noch versehentlich an dein Bein.«
Er sah sie lange und eindringlich an.
»Aber wenn du das Risiko eingehen willst«, hörte sie sich sagen, »würde ich natürlich lieber bei dir schlafen.«
Ohne ein weiteres Wort rutschte er zur Seite. Der Kraftaufwand war ihm anzumerken. Sein Atem ging flach und schnell, und seine Haut fühlte sich klamm unter ihren Fingern an, als sie neben ihm unter die Decke schlüpfte.
»Ist alles in Ordnung?« fragte sie besorgt.
»Es geht schon. Ich bin müde.«
»Schlaf gut.«
Sie hielt es für angebracht, sich über ihn zu beugen und einen sanften, keuschen Kuà auf seine Wange zu hauchen. Statt ihn zu besänftigen, schien der Kuà allerdings einen Kurzschluà auszulösen.
»Das kannst du doch bestimmt besser.« Er packte sie am Hinterkopf und hielt sie fest, während er sie küÃte. Dieser Kuà war weder sanft noch keusch. Geschickt, sexy, herrisch und besitzergreifend setzte er seine Zunge ein.
Er wuÃte genau, was er da tat, denn obwohl sie sich dagegen wehrte, züngelten unbeschreibliche Empfindungen in ihr auf. Das verblüffte sie. Und der Kuà zeigte nicht nur bei ihr Wirkung. Als sich seine Lippen von ihren lösten, hielt er ihren Kopf weiter fest und versuchte, die Tiefen ihrer Augen zu ergründen.
Sie sah Aufruhr, Unentschlossenheit, Verwirrung in seinem Blick. »Jesus«, sagte er leise.
Plötzlich lieà er sie los, als würde er sich die Finger an ihr verbrennen. Er schloà die Augen und schlief auf der Stelle ein. Oder tat wenigstens so.
Kendall lag stocksteif neben ihm. Sie hatte Angst, sich zu
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