Die Zeugin
Billy Joe sollte sich schuldig bekennen.«
»Sich schuldig bekennen«, wiederholte Henry höhnisch. »Sie
sind mir ja âne schöne Anwältin. Also, das können Sie vergessen. Wir nehmen uns jemand anderen. Jemand, der sich auskennt.«
»Fein. Ich werde diesen Fall liebend gern jedem Kollegen übergeben, den Sie beauftragen oder den das Gericht benennt. Aber es ist mein Job, solche Fälle schnell über die Bühne zu bringen. Bevor ein anderer Anwalt sich damit beschäftigt, können Wochen vergehen. Wie schnell möchten Sie die Sache denn geklärt haben?«
Das gab Henry und Luther zu denken. Henry sah Luther niedergeschlagen an und sagte: »Es bringt Mama fast um, daà ihr Kleiner im Knast sitzt.«
»Hören Sie mich erst mal an, dann können Sie sich die Sache ja noch einmal überlegen«, schlug Kendall vor. »Billy Joe ist erst sechzehn. Er fällt unter das Jugendstrafrecht. Das ist sein erstes Vergehen. Den Vorfall im Piggly Wiggly können wir vergessen. Er wurde nicht verhaftet oder dafür angeklagt, und selbst wenn, dürfte sich das im Urteil nicht niederschlagen.«
»Hä?«
Heénrys Ellbogen bohrte sich in Luthers Rippen. »Halt den Mund und laà sie reden.«
Da Henry offenbar der Intelligentere von beiden war â was keinen groÃen Unterschied bedeutete â, richtete sie ihre Worte jetzt vor allem an ihn.
»Ich glaube, wenn Billy Joe vor dem Jugendgericht erscheint und zugibt, daà es ein Fehler war, mit den CDs aus dem Laden zu gehen, bevor er dafür bezahlt hatte â obwohl er durchaus vorhatte, sie zu bezahlen â, dann kommt er wahrscheinlich mit einer Verwarnung davon und wird auf Bewährung gesetzt.«
»Was heiÃt das?«
»Daà er nicht ins Gefängnis muà und auch nicht zur R & E nach Columbia geschickt wird.« Als Reception and Evaluation
wurde eine Zeitspanne von fünfundvierzig Tagen bezeichnet, während der jugendliche Straftäter inhaftiert und von der Jugendstrafbehörde beobachtet wurden. Danach fällte der zuständige Richter entsprechend dem Befund und den Empfehlungen der Behörde sein Urteil.
»Was bedeutet Bewährung?«
»Das bedeutet, daà Billy Joe während einer bestimmten Zeit, sagen wir einem Jahr, keine weiteren Fehler begehen darf. Man wird ihn genau überwachen. Während seiner Bewährung sollte er besser keine Scherereien verursachen.«
»Und wenn doch?«
»Dann sitzt er wirklich in der Tinte.«
Henry kratzte sich gedankenverloren in der Achsel, während er sich den Bescheid durch den Kopf gehen lieÃ. »Was ist die andere Möglichkeit?«
»Die Alternative ist, auf nicht schuldig zu plädieren. Dann kommt es zur Verhandlung, die mit einer strengeren Bewährungsfrist oder einer definitiven R & E enden könnte. Ich persönlich neige in Billy Joes Fall zu der Ansicht, daà der Richter ein Reuebekenntnis honorieren würde.«
Damit erntete sie nur verständnislose Blicke, deshalb formulierte sie ihre Antwort um. »Der Richter wird eher zu Billy Joes Gunsten urteilen, wenn Billy Joe sagt, daà er es bedauert und daà er es nie wieder tun wird. Ehrlich gesagt, hat die Aussicht auf eine Bewährung Ihrem Bruder zugesagt. Er hat mir versprochen, wenn er diesmal mit einem blauen Auge davonkommt, wird er sich in Zukunft anständig benehmen. Das ist alles. Wozu haben Sie sich entschlossen?«
Die Zwillinge zogen sich zurück und flüsterten kurz miteinander. »Also gut«, erklärte Henry für sie beide, als sie wieder vor ihr standen. »Wir sind damit einverstanden. Mit dem, was Sie uns raten.«
»Wunderbar. Aber ich möchte eines klarstellen: Indem er auf schuldig plädiert, gibt Billy Joe zu, eine Straftat begangen zu haben. Er ist damit vorbestraft. Und es gibt keine Garantie dafür, daà sein Reuebekenntnis das Herz des Richters erweichen wird. Ein Risiko bleibt. Meiner Meinung nach allerdings ein sehr kleines.«
Sie stimmten ihr eifrig nickend zu und erklärten, wie froh Mama sein würde, wenn sie ihr erzählten, daà Billy Joe nicht ins Gefängnis müsse.
»Natürlich wird sie ihm gehörig den Arsch versohlen, wenn er nach Haus kommt, weil er ihr soviel Kummer gemacht hat.«
Mama, dachte Kendall, war offenbar ein wahrer Schatz. »Ich schlage vor, Sie kaufen Billy Joe vor seinem Gerichtstermin einen neuen
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