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Die Zeugin

Die Zeugin

Titel: Die Zeugin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brown Sandra
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aufkommen.«
    Damit hatte sie nicht gerechnet, und einen Moment war sie zu
perplex, um überhaupt etwas zu sagen. Ihr Instinkt riet ihr, höflich und diplomatisch abzulehnen, deshalb erklärte sie, als sie die Sprache wiedergefunden hatte: »Das ist ein äußerst großzügiges Angebot, Gibb. Vielen Dank. Aber ich würde dir dein Geld nie zurückzahlen können. Ich würde nicht mal genug Mandanten haben, um mich über Wasser zu halten.«
    Â»Ich habe volles Vertrauen zu dir.«
    Kendall hob selbstbewußt den Kopf: »Aber die Leute hier haben kein Vertrauen. Ich würde die in Prosper vorherrschende Gesinnung nicht unbedingt als fortschrittlich bezeichnen. Habe ich recht?« Sie lächelte bedauernd. »Die Crooks hätten Billy Joe bestimmt nicht von mir verteidigen lassen, wenn sie die Wahl gehabt hätten. Wer von den Leuten hier wird mich, eine Frau, mit der Vertretung ihrer Rechte beauftragen?«
    Â»Du brauchtest nicht viele Mandanten«, wandte Gibb ein.
    Zum ersten Mal an diesem Abend schien auch Matt aufzuleben. »Stimmt, Liebling. Wir könnten dir ein paar Aufträge zuschanzen.«
    Â»Das möchte ich nicht, Matt. Damit würde ich mich doch selbst zur Lachnummer degradieren – Gibbs Schwiegertochter, Matts Frau, die sich jeden Morgen herausputzt und die Anwältin spielt.« Sie schüttelte entschieden den Kopf. »Danke sehr, aber danke nein.«
    Â»Die Entscheidung liegt natürlich bei dir.« Gibb seufzte enttäuscht. »Ich finde allerdings, daß du dein Talent im öffentlichen Dienst vergeudest.«
    Er konnte nicht wissen, wie sehr er sie mit dieser Bemerkung traf.
    Â»Daß ich es vergeude, Gibb? Das glaube ich nicht. Du mußt wissen, der tägliche Sexismus und der Konkurrenzkampf bei Bristol und Mathers waren nur ein Grund für meine Kündigung.
    Bis heute habe ich diese Geschichte niemandem außer Ricki
Sue und Großmutter erzählt, aber damit ihr besser verstehen könnt, warum ich mich um das Amt der Pflichtverteidigerin beworben habe, sollt auch ihr sie erfahren.«
    Sie stand auf und ging während des Redens auf und ab. »Eine Frau kam zu Bristol und Mathers und bat mich um Hilfe. Sie hatte Aids. Ihr Mann hatte sie mit dem Virus infiziert und dann sie und ihre drei Kinder verlassen. Ihre Gesundheit verschlechterte sich rapide. Als sie den Unterhalt für die Familie nicht mehr aufbringen konnte, übernahm der Staat die Vormundschaft für die Kleinen und steckte sie in ein Heim.
    Nach sechs Monaten wollte die Frau ihre Kinder endlich wiedersehen, aber ihre Gesuche wurden allesamt abgelehnt. In ihrer Verzweiflung drang sie mit einer Pistole in das Fürsorgeamt ein und verlangte, daß man sie zu ihren Kindern ließ. Sie wurde verhaftet. Die Pistole war nicht mal geladen, aber das ließ man nicht gelten.
    Sie brachte die geforderte Kaution auf und wurde entlassen. Weil sie mit dem zugewiesenen Pflichtverteidiger nicht zufrieden war, kam sie zu mir. Ja, sie hatte sich strafbar gemacht, aber unter den gegebenen Umständen war ihre Verzweiflung absolut verständlich. So, wie ich es sah, lagen in diesem Fall Recht und Gerechtigkeit im Widerstreit. Hier ging es um eine Frau, die lediglich ein letztes Mal ihre Kinder sehen wollte, bevor sie starb. Ich erkärte mich bereit, sie zu vertreten.«
    Mühsam kämpfte sie die Wut nieder, die jedesmal wieder aufloderte, sobald sie sich daran erinnerte, wie sie in den Konferenzraum der Kanziei gebeten worden war. »Man war entsetzt. Die Frau war am Tatort verhaftet worden. Wie konnte ich mir allen Ernstes Hoffnungen auf einen Freispruch machen? Und wollte die Firma tatsächlich Aids-Patienten vertreten? Die unterschwellige Antwort lautete: Nein.
    Außerdem war damit kein Geld zu verdienen, und das gab
den Ausschlag. Die Frau verfügte nur über geringe Mittel, und die Kanzlei berechnete einen stolzen Stundensatz. Wie sollten Bristol und Mathers florieren, wenn man freiwillig Sozialhilfeempfänger vertrat? Wenn die Firma auch nur einen solchen Fall übernahm, würde sich das herumsprechen, und die Anwälte würden von Almosenempfängern überrannt werden. Man befahl mir strikt, die Sache fallenzulassen.
    Hätte ich damals genug Mumm gehabt, hätte ich auf der Stelle gekündigt. Aber ich brauchte den Job, und Bristol und Mathers war die angesehenste Kanzlei in Sheridan. Deshalb blieb ich dort, bis ich von diesem

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