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Die Zeugin

Die Zeugin

Titel: Die Zeugin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brown Sandra
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Er hatte sich einzureden versucht, daß ihm dieses Tabu nichts ausmachte. Wenn sie es so wollte – na gut.
    Aber es war nicht gut. Sein Begehren brachte ihn fast um. Als Ehemann an ihrer Seite zu leben und sich gleichzeitig wie ein Fremder benehmen zu müssen, belastete ihn mit jedem Tag mehr. Mühsam wandte er den Blick von ihren Beinen und den wohlgeformten Füßen ab.
    Wer ist diese Frau?
    Vor wem war sie auf der Flucht? fragte er sich. Denn sie war auf der Flucht. Selbst wenn sie das bis zum Jüngsten Tag abstritt, wußte er, daß ihr irgendwas außerhalb der vier Wände dieses Hauses Todesangst einjagte. Jede Nacht stand sie ein paarmal auf, schlich auf Zehenspitzen durchs Haus, linste aus den Fenstern, suchte den Hof vor dem Haus ab. Wonach? Er stellte sich während ihrer nächtlichen Patrouillen regelmäßig schlafend, aber sie entgingen ihm keineswegs. Es wurmte ihn, daß er den Grund für ihre Wachgänge nicht kannte.
    Manchmal machte es ihn fast wahnsinnig, daß er so wenig über sie wußte. Warum vertraute sie ihm nicht, warum ließ sie sich nicht von ihm helfen? Er konnte sich nur einen einzigen Grund dafür denken: Er war ein Teil ihres Problems. Es war ein beklemmender Gedanke, den sie mit ein paar schlichten, ehrlichen Antworten entkräften könnte. Von wegen! Seit zwei Wochen schlief er jede Nacht neben ihr, doch sie blieb vor ihm auf der Hut.
    Er kannte den Rhythmus ihres Atems im Schlaf, gleichwohl blieb sie ihm fremd. Blind hätte er sie am Geruch und am Klang ihrer Stimme erkannt, aber sie war nicht seine Frau. Darauf hätte er sein Leben verwettet.
    Â»Wie hast du die Pistole gefunden?« fragte er.
    Â»Einem Mann auf Krücken bieten sich nicht viele Versteckmöglichkeiten.«

    Als sie am Morgen nach ihrer Ankunft in der Küche herumgeräumt hatte, hatte er ihre Sachen durchsucht und in dem Wikkelkörbchen die Pistole entdeckt – der letzte Ort, an dem man eine todbringende Waffe erwartete. Für ihn hatte sich damit bestätigt, was er ohnehin glaubte – sie hatte ihm nichts als Lügen aufgetischt. Die Situation war längst nicht so harmlos, wie sie ihm weismachen wollte.
    Natürlich war Kendall außer sich gewesen, als sie ihn mit der Waffe gesehen hatte. Sie hatte ihm Vorwürfe gemacht, er würde spionieren und sich in ihre Angelegenheiten mischen, was er keineswegs abstritt; aber als sie die Waffe zurückforderte, hatte er nur laut gelacht.
    Sie hatte ihm trotzdem ein Schnippchen geschlagen, da sie die Patronen eindeutig woanders aufbewahrte. Die Waffe nutzte ihm nichts. Trotzdem hatte es ihm ein trügerisches Machtgefühl verliehen, sie in seinem Besitz zu wissen. Und zu seiner Überraschung beruhigte es ihn, eine Waffe zu tragen. Das Gewicht in der Hand war ihm vertraut und irritierend normal erschienen. Er empfand keinerlei Scheu vor der Pistole. Zwar besaß er keine Patronen, doch die Kenntnis, wie man sie lädt und feuert; er respektierte die Waffe, aber hatte keine Angst davor. Wann konnte ihm der Umgang mit ihr wohl so vertraut geworden sein? Er hatte versucht, sich daran zu erinnern, ob und wann er eine Waffe eingesetzt hatte, aber sein Gedächtnis ließ ihn immer noch im Stich. Die Pistole war so etwas wie ein Schlüssel zu seiner Vergangenheit gewesen, dessen neuerlicher Verlust ihn rasend machte.
    Â»Ich werde sie wieder finden«, sagte er jetzt.
    Â»Diesmal nicht.«
    Â»Ich werde so lange suchen, bis ich sie habe.«
    Â»Das wirst du nicht.«
    Â»Wem gehört sie?«

    Â»Mir.«
    Â»Liebende Mütter laufen selten mit einer Pistole herum, Kendall. Wozu brauchst du eine Waffe? Hast du jemanden damit erpreßt und mich entführt? Verlangst du Lösegeld für mich?«
    Der Gedanke brachte sie zum Lachen. »Was glaubst du denn, wieviel du wert bist? Hast du das Gefühl, reich zu sein?«
    Er überlegte einen Moment und schüttelte dann verwirrt den Kopf. »Nein.«
    Â»Vergiß nicht, du wolltest selbst mitkommen. Ich habe dich nicht aus dem Krankenhaus verschleppt.«
    Richtig. Das hatte sie nicht. Soviel also zu seiner Entführungs- und Lösegeldtheorie. »Hast du die Waffe zusammen mit dem Autoschlüssel versteckt?«
    Â»Warum hast du nach dem Autoschlüssel gesucht?«
    Â»Warum ist er weg?«
    Â»Selbst wenn ich dir den Autoschlüssel auf einem silbernen Tablett servieren würde, was tätest du

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