Die Zitadelle des Autarchen
gesandt bist, mich zur Lerche zu führen, sei dies mein einziger Wunsch von dir.‹
›Er sei dir gewährt.‹ versetzte der Engel. ›Aber willst du den kürzesten Weg nehmen? Oder den besten?‹
Hierauf sagte sich der jüngste Freier: ›Das ist sicherlich eine List. Sogar die Mächte des Himmels tadeln die menschliche Hast, auf die sie als Unsterbliche gut und gern verzichten können. Der kürzeste Weg führt bestimmt durch garstige Höhlen und dergleichen.‹ Also antwortete er dem Engel: ›Den besten. Würde es sie, die ich zum Weib mir nehm’, nicht entehren, reiste ich auf anderen Wegen?‹
›Das kann man sehen, wie man will‹, erwiderte der Engel. ›Aber nun laß mich hinter dir aufsitzen. Nicht weit von hier liegt ein stattlicher Hafen, wo ich gerade zwei Renner verkauft habe, die so gut wie der deine sind, wenn nicht besser. Dort wollen wir auch den deinen feilbieten, und den Goldring an meinem Stiefel obendrein.‹
Im Hafen taten sie, was der Engel vorgeschlagen hatte, und erwarben mit dem Geld ein kleines, aber schnelles und gediegenes Schiff und heuerten drei tüchtige Seeleute als Besatzung an.
Am dritten Tag auf See hatte der jüngste Freier des Nachts einen Traum, wie ihn ein Jüngling oftmals hat. Beim Erwachen befühlte er das Kissen neben seinem Haupt und spürte Wärme darauf; als er sich wieder niederlegte, roch er einen feinen Duft – den Duft blühender Gräser, welche die Damen meiner Heimat im Frühjahr trocknen, um sie ins Haar zu flechten.
Zu einer Insel gelangten sie, wohin es keinen Menschen je verschlägt, und der jüngste Freier ging an Land, um nach der Lerche zu suchen. Er fand sie nicht, aber bei Sonnenuntergang entledigte er sich seiner Kleider, um sich in der brandenden See zu erfrischen. Als die Sterne am Himmel erschienen, gesellte sich ein anderer zu ihm. Zusammen badeten sie und lagen am Strand und erzählten sich Geschichten.
Als sie eines Tages über den Bug ihres Schiffes nach einem anderen Ausschau hielten (denn sie trieben zuweilen Handel oder trugen Kämpfe aus), erfaßte ein mächtiger Windstoß den Hut des Engels und blies ihn in die alles verschlingende See; bald folgte ihm das braune Tuch, das sein Gesicht bedeckt hatte.
Schließlich wurden sie die rastlose See müde und dachten sehnsuchtsvoll an meine Heimat zurück, wo im Herbst, wenn das Gras brennt, die Löwen unsere Herden reiten, wo die Männer kühn wie ein Ochs sind und die Frauen feurig wie ein Falk. Ihr Schiff hatten sie Lerche getauft, und die Lerche flog nun über die blauen Wasser, daß allmorgendlich das Bugspriet die Sonne verdunkelte. Im Hafen, in dem sie sie erworben hatten, verkauften sie sie zum dreifachen Preis, denn sie war bekannt geworden und wurde in vielen Liedern und Sagen gerühmt; freilich wunderten sich alle, die zum Hafen strömten, wie klein es sei, das braune Segelschiff, das der Länge nach ganze zwanzig Schritt maß. Ihre Beute verkauften sie ebenfalls, und die Ware, die sie im Tausch eingehandelt hatten. Die Leute meiner Heimat behalten die besten Streitrosse, die sie züchten, aber in diesen Hafen bringen sie die besten von denen, die sie verkaufen, so daß der jüngste Freier und der Engel dort feine Tiere erwarben und ihre Satteltaschen mit Gold und Juwelen füllten; dann brachen sie auf zum Haus des Waffenträgers, das so abgelegen steht, daß kein Mensch je hinkommt.
Gar manches Abenteuer hatten sie unterwegs zu bestehen, und gar manches Mal mußten sie die Schwerter mit Blut besudeln, die sie so oft in der läuternden See reingewaschen und mit Segeltuch oder Sand getrocknet hatten. Doch schließlich kamen sie ans Ziel. Dort wurde der Engel willkommen geheißen von einem laut jubelnden Waffenträger, seiner weinenden Frau und der tuschelnden Dienerschaft. Und dort entledigte der Engel sich der braunen Kleidung und wurde wieder die Tochter des Waffenträgers.
Eine große Vermählung wurde vorbereitet. In meiner Heimat dauert so etwas viele Tage, da man die Bratgruben frisch ausheben und Tiere schlachten muß, und da die Boten viele Tage reiten müssen, um Gäste zu laden, welche ebenfalls viele Tage reiten müssen. Am dritten Tag des Wartens schickte die Tochter des Waffenträgers ihre Zofe zum jüngsten Freier und ließ ihm bestellen: ›Meine Herrin geht heute nicht auf die Jagd. Vielmehr bittet sie Euch auf ihre Kammer, um über alte Erlebnisse zu Lande und zu Wasser zu plaudern.‹
Der jüngste Freier kleidete sich in feinste Tuche, die er im Hafen gekauft
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