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Die Zitadelle des Autarchen

Die Zitadelle des Autarchen

Titel: Die Zitadelle des Autarchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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ergreifend.
    Die Gewänder der Beteiligten waren gewiß uralt und bezaubernd. Von ihren Gesängen ging ein Bann aus, dem ich in keiner anderen Musik begegnet bin. Unsere Zeremonien bezwecken insbesondere, den jüngeren Mitgliedern die Rolle unserer Gilde einzuprägen. Vielleicht sollten die Rituale der Pelerinen einen ähnlichen Eindruck erwecken.
    Wenn nicht, so sind sie zumindest gedacht, die Aufmerksamkeit des Allsehenden auf sich zu lenken – ob das gelungen ist, kann ich nicht sagen. Jedenfalls erhält der Orden keinen besonderen Schutz.
    Nachdem die Feier beendet war und die Pelerinen herausströmten, senkte ich den Kopf wie in stiller Andacht. Wie sich rasch zeigte, wurde aus der Verstellung das Vorgegebene. Ich war mir meines knienden Leibes bewußt, freilich nur als periphere Bürde. Mein Geist entschwand in gestirnte Höhen, fern der Urth samt ihrem Archipel von Inselwelten, und mir war, daß das, womit ich sprach, noch ferner war – als sei ich an die Mauern des Universums gelangt und riefe durch die Mauern zu einem hinaus, der draußen warte.
    ›Riefe‹, habe ich gesagt, aber das ist vielleicht das falsche Wort. Eigentlich flüsterte ich, wie vielleicht Barnoch, in seinem Hause eingemauert, durch einen Spalt einem mitfühlenden Passanten zugeflüstert hatte. Ich erzählte, was ich gewesen war, als ich ein zerlumptes Hemd trug und durch das schmale Fenster des Mausoleums Raubtiere und Vögel beobachtete, und was ich wurde. Ich sprach nicht von Vodalus und seinem Kampf gegen den Autarchen, sondern vielmehr von den Motiven, die ich ihm einst törichterweise zugeschrieben hatte. Ich gab mich nicht der Täuschung hin, daß ich das Zeug dazu hätte, Millionen zu führen. Ich bat nur darum, mich selbst führen zu können; währenddessen war mir, als sähe ich mit zunehmender Klarheit durch den Spalt im Universum ein lichtüberströmtes neues Universum, wo mein Erhörer mich kniend anhörte. Was mir zunächst wie ein Riß in der Welt vorgekommen war, hatte sich erweitert, bis ich ein Antlitz und gefaltete Hände gewahrte, und schließlich eine Öffnung, die tief in einen Menschenschädel führte, der eine Weile größer wirkte als der in den Gipfel gehauene Schädel Typhons. Ich flüsterte in mein eigenes Ohr, und als ich dies erkannte, flog ich in es hinein wie eine Biene und stand auf.
    Alle waren sie gegangen, und mit dem Weihrauch hing offenbar eine so nachhaltige Stille in der Luft, wie ich sie noch nie erlebt hatte. Vor mir erhob sich der Altar, schlicht im Vergleich zu jenem, den Agia und ich niedergerissen hatten, dennoch schön anzusehen mit seinen Lichtern, seinen klaren Linien und dem Besatz aus Sonnenstein und Lapislazuli.
    Ich ging nun nach vorne und kniete vor ihm nieder. Ich brauchte keinen Gelehrten, mir zu sagen, das Theologumenon sei nun nicht näher. Dennoch schien es näher, und ich vermochte – zum letzten Mal – die Klaue hervorzuholen, obwohl ich Bedenken hatte, ob ich’s fertigbrächte. Die Silben nur im Geiste bildend, sagte ich: »Ich habe dich über viele Berge getragen, über Flüsse und über die Pampas. Du hast Thecla in mir Leben gegeben. Du hast mir Dorcas geschenkt und dieser Welt Jonas zurückgegeben. Ich habe also keinen Grund zur Klage, während du vielerlei Anlaß haben magst. Doch ein Vorwurf wäre nicht gerechtfertigt: Es soll nicht heißen, ich habe nicht alles in meiner Macht Stehende getan, um wiedergutzumachen, was ich angerichtet habe.«
    Ich wußte, man würde die Klaue achtlos wegfegen, wenn ich sie offen auf den Altar legte. Nachdem ich die Altarstufen erstiegen hatte, suchte ich ein Versteck, das sicher und von Dauer wäre. Schließlich bemerkte ich, daß der eigentliche Altarstein unten mit vier Klammern befestigt war, die seit dem Altarbau sicherlich nicht mehr gelöst worden waren und wohl auch geschlossen bleiben würden, solange der Altar stünde. Mit meinen starken Armen konnte ich sie öffnen, was den meisten Männern wohl kaum gelungen wäre. Unter dem Stein war das Holzfundament etwas ausgestemmt, damit er nur auf den Ecken aufliege und nicht wackle. Was wollte ich mehr! Mit Jonas’ Rasiermesser schnitt ich ein Stück meines zerlumpten Gildenmantels ab. Darin schlug ich die Klaue ein, legte sie dann unter den Stein und befestigte die Klammern wieder, wobei ich mir blutige Finger holte, denn ich mußte alle Kraft aufbieten, damit sie sich nicht irgendwann lockern würden.
    Als ich vom Altar zurücktrat, überkam mich tiefe Trauer, aber ich war nicht

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