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Die Zitadelle des Autarchen

Die Zitadelle des Autarchen

Titel: Die Zitadelle des Autarchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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halb zur Tür der Kapelle gegangen, als mich unbändige Freude ergriff. Mir war die Last von Leben und Tod abgenommen. Nun war ich wieder Mensch und wahnsinnig vor Freude. Ich fühlte mich wie damals als Kind, als der lange Unterricht bei Meister Malrubius vorüber war und ich im Alten Hof spielen oder über die verfallene Ringmauer laufen und zwischen den Bäumen und Mausoleen unserer Nekropolis umhertollen konnte. Ich war in Ungnade gefallen, verstoßen und heimatlos, ohne Freunde oder Geld, und ich hatte gerade das Wertvollste in der Welt aufgegeben, das letztendlich vielleicht einzig Wertvolle dieser Welt. Dennoch wußte ich, daß alles zum Besten stand. Ich war zum Grunde des Daseins abgestiegen und hatte ihn mit den Händen gespürt, wußte also, es gab einen Boden und daß es von hier an nur noch aufwärts gehen konnte. Ich wirbelte herum, daß mein Mantel nur so wehte, wie ich es auch als Schauspieler getan hatte, denn ich wußte, ich war ein Schauspieler, kein Folterer, obgleich ich ein Folterer gewesen war. Ich machte Luftsprünge wie die Ziegen auf der Bergweide im Frühling, denn ich wußte, ich bin ein Kind, und daß kein Mann, der keins ist, Mann sein kann.
    Draußen schien die kühle Luft eigens für mich geschaffen zu sein – als hätte eine neue Schöpfung die alte Atmosphäre der Urth abgelöst. Ich badete mich darin, und indem ich zuerst den Mantel aufschlug und dann die Arme zum Himmel streckte, füllte ich die Lungen wie ein Neugeborenes, das schon glaubte, jämmerlich in den Geburtssäften ertrinken zu müssen.
    All dies dauerte nicht so lange wie das Niederschreiben; als ich im Begriff war, zu jenem Zeltbau zurückzukehren, von dem ich gekommen war, bemerkte ich eine regungslose Gestalt, die mich vom Schatten eines anderen Zeltes in einiger Entfernung beobachtete. Seitdem der Knabe und ich der blind tastenden Kreatur entkommen waren, die das Dorf der Zauberer zerstört hatte, befürchtete ich, wieder von Hethors Unholden aufgespürt zu werden. Ich wollte schon die Flucht ergreifen, als die Gestalt in den Mondschein trat und ich sah, daß es nur eine Pelerine war.
    »Warte!« rief sie. Und beim Näherkommen: »Tut mir leid, wenn ich dich erschreckt habe.«
    Ihr Gesicht war ein rundes, schier geschlechtsloses Oval. Sie war jung, wenn auch nicht so jung wie Ava, und gut zwei Köpfe größer – eine echte Beglückte, hochgewachsen wie Thecla.
    Ich sagte: »Wenn man lang mit der Gefahr gelebt hat …«
    »Aha. Ich verstehe nichts vom Krieg, aber viel von den Menschen, die ihn erlebt haben.«
    »Nun, womit kann ich Euch dienen, Chatelaine?«
    »Zuerst muß ich wissen, ob du gesund bist.«
    »Ich bin gesund«, erwiderte ich. »Morgen will ich von hier aufbrechen.«
    »Du hast in der Kapelle wohl ein Dankgebet gesprochen für deine Genesung?«
    Ich zögerte. »Das auch, unter anderem. Ich hatte viel zu sagen, Chatelaine.«
    »Darf ich dich ein Stück begleiten?«
    »Selbstverständlich, Chatelaine.«
    Mir ist schon oft zu Ohren gekommen, eine große Frau wirke noch größer als ein Mann, was vielleicht auch stimmt. Diese Dame war viel kleiner von Wuchs als Baldanders, dennoch kam ich mir an ihrer Seite wie ein Zwerg vor. Das erinnerte mich daran, wie Thecla sich hatte bücken müssen, wenn wir uns umarmten, wobei ich ihren Busen küßte.
    Nachdem wir etwa zwei Dutzend Schritte zurückgelegt hatten, meinte die Pelerine: »Du gehst prima. Deine Beine sind lang und haben wohl schon viele Meilen bewältigt. Du bist kein Kavalleriereiter?«
    »Ich bin ein bißchen geritten, aber nicht in der Kavallerie. Ich bin zu Fuß übers Gebirge gekommen, wenn Ihr das meint, Chatelaine.«
    »Das ist gut, denn ich habe kein Reittier für dich. Aber ich glaube nicht, daß ich dir schon gesagt habe, wie ich heiße. Ich bin Mannea, Novizenmeisterin unseres Ordens. Da unsere Domiceila auf Reisen ist, habe ich gegenwärtig die Leitung über unsere Leute hier.«
    »Ich bin Severian von Nessus, ein Wandersmann. Ich wünschte, ich wäre in der Lage, Euch tausend Chrysos zur Unterstützung Eurer Arbeit zu gewähren, kann aber leider nur Dank sagen für die gütige Aufnahme, die ich hier gefunden habe.«
    »Als ich das Reittier erwähnte, Severian von Nessus, meinte ich nicht, daß ich dir eins verkaufen wolle oder dir eins schenken möchte, um uns deine Dankbarkeit zu sichern. Wenn wir sie jetzt noch nicht haben, bekommen wir sie nie.«
    »Ihr habt sie«, versicherte ich, »wie ich schon sagte. Wie ich ebenfalls sagte, möchte

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