Die Zuckerbäckerin
wenn nicht â heiÃt es nicht, daà jeder Mensch für sich selbst verantwortlich ist? Du kannst nicht immer auf Sonia aufpassen, sie ist schlieÃlich kein Kind mehr! Wenn sie ihre Anstellung aufs Spiel setzt, ist das ihre Sache. Dich werden sie sicherlich nicht rauswerfen, selbst wenn Sonia gehen muÃ.« Für einen kurzen Moment war er versucht, Eleonore vom Brief seines Bruders zu erzählen, doch dann entschied er sich dagegen. Die Zeit war wohl noch nicht reif dafür.
Mit traurigen Augen blickte sie ihn an. »Glaubst du etwa, ich würde sie im Stich lassen und so schuldig an ihrer völligen Verderbnis werden?« Noch während sie sprach, sah sie,wie das helle Licht in Leonards Augen erlosch. Seine Schultern sanken unter der schweren Last des Holzes, und er sah auf einmal alt und müde aus. Hatte sie etwas Falsches gesagt?
Ohne etwas zu entgegnen, packte Leonard erneut sein Holzbündel und ging davon. Als er um die nächste Ecke war, lehnte er sich an das eiskalte Gemäuer und schloà die Augen. Für kurze Zeit war es ihm gelungen, sich eine gemeinsame Zukunft vorzustellen: Leonard und Eleonore. Was für ein Narr er war!
Von der Stadt tönten die Kirchenglocken herauf, um das neue Jahr einzuläuten. Ihr dumpfer Vielklang hing in der Luft wie eine düstere Wolke, die sich nicht vertreiben lieÃ. Mit hängenden Armen stand Leonard da, den Blick weit in die dunkle Nacht gerichtet. Ihm war, als sehe er vor sich eine Brücke, die ihn lockend aufforderte, ans andere Ufer zu gehen. Hatte er nicht ein Leben lang darauf gewartet, daà ihm jemand diese Brücke baute? Daà dieser Jemand nun gerade sein Bruder sein sollte, war eine Ironie des Schicksals, die er zu übersehen gewillt war. Aber sollte er deswegen ewig am selben Ufer bleiben? Was hatte er bei einem Krug Wein, wenn man ins Reden kam, immer groà getönt! »Veränderungen liegen in der Luft. Es brechen groÃe Zeiten für uns alle an!« Mit verständnislosen Augen hatten ihn seine Trinkkameraden angeschaut. Veränderungen? GroÃe Zeiten? Die würde es für ihresgleichen wohl nie geben, hatten sie gemeint. Und doch. Leonard glaubte an das, was er sagte. Das Ende Napoleons, die Bestrebungen um eine Verfassung, ja, auch die neue Königin â Leonard wuÃte nicht viel von Politik, doch spürte er, daà diese Dinge irgendwie auch ihn betrafen. Waren es nicht alles Zeichen für eine neue, eine frohe Zukunft? Als Holzträger wollte er jedenfalls nicht sein Leben lang versauern, soviel stand fest! Er ballte die rechte Hand zur Faust, seine Augen glänzten mit demFeuer der Zuversicht. Und Eleonore würde sein Leben mit ihm teilen!
LeichtfüÃig und mit dem sicheren Gefühl, sich auf sich selbst verlassen zu können, machte er sich auf den Weg in die Hofküche. SchlieÃlich galt es das neue Jahr zu feiern.
8
I n der Hofküche war es erstaunlich still für einen gewöhnlichen Nachmittag. Von drauÃen fiel helles Frühlingslicht durch die Fenster und wärmte selbst die hintersten Winkel. Eleonore versuchte, den süÃen Duft von Vanille und Honig einzuatmen, der wie eine zuckrige Wolke in der Luft hing. Die Kochstellen, die Tische, an denen Gemüse geputzt oder Fische ausgenommen wurden, die Wasserbassins, in denen das gebrauchte Geschirr gereinigt wurde â alles stand verlassen da. In den Töpfen warteten vorbereitete Speisen darauf, gekocht oder gesotten zu werden. Die meisten der Bediensteten nutzten die seltene Gelegenheit, sich zwischen der Zubereitung des Mittagsmahls und der abendlichen Verköstigung in ihren Kammern auszuruhen. Möglich war dies nur deshalb, weil die Speisenfolge für den heutigen Abend â eine kräftige Rinder-Consommée, ein mit Speck gespickter Braten und ein Dessert aus Backobst und Reispudding â keine aufwendigen Vorbereitungen erforderte. Seit die Königin zwei der Köche, einen Wasserträger und mehrere Holzträger entlassen hatte, um die Kosten ihrer Hofhaltung nochmals zu senken, war die Last der Arbeit für die einzelnen Leute fast unerträglich schwer geworden. Da half es auch nichts, daà sich das Königspaar mit einfachen Speisen und wenigen Gängen zufriedengab: Nach wie vor muÃte die Hofküche täglich Dutzende von kleinen Tafeln verköstigen, eine jede mit ganz besonderen Vorlieben.SchlieÃlich konnte man den Offizieren der
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