Die Zuckerbäckerin
Wirt, er deckte selbst mich zu,
Mit seinem kühlen Schatten.
Nun fragtâ ich nach der Schuldigkeit,
Da schüttelt er den Wipfel.
Gesegnet sei er alle Zeit
Von der Wurzel bis zum Gipfel! 2
17
E leonore atmete auf. Das wäre geschafft. Jetzt, da die Anspannung des Zuhörens vorüber war, muÃte sie unwillkürlich gähnen.
Sofort drehte sich Sonia zu ihr um. »Was ist? Hat dir etwa nicht gefallen, was die Königin zu sagen hatte?« fragte sie scheinheilig. »Beim Apfelbaum einkehren!« Sie lachte spöttisch. »Daà ich nicht lache! Während die Madame vom feinsten Porzellan mit goldenen Löffeln speist, sollen wir Apfel fressen!«
»Du muÃt immer alles gleich schlechtmachen! Ich fand das Gedicht sehr schön.« Eleonore schüttelte tadelnd den Kopf. »Komm, während sich die Herrschaften die Schule anschauen, sollten wir uns um die Tafel mit dem Gebäck kümmern. Wenn ich der Lili schon nicht bei der Zubereitung helfen konnte, so will ich wenigstens jetzt dafür sorgen, daà alles ordentlich angerichtet wird.«
»Ich will jetzt aber nicht arbeiten!« Trotzig stampfte Sonia mit dem rechten Fuà auf den Boden. Ihre Unterlippe schob sich wie bei einem weinerlichen Kind nach vorn.
Verwundert drehte Eleonore sich um. »Auf was wartest du denn noch?«
»Jetzt sind wir der Küche einmal entronnen, und schon willst du mich wieder zu deinen heiÃgeliebten Kuchen schleppen! Daà ich mir auch gerne die Schule anschauen würde, darauf kommst du nicht, was? Wenn wir solch eineLehranstalt schon nicht besuchen dürfen, so möchte ich zumindest einmal gesehen haben, wo die Schülerinnen ihren Alltag verbringen.«
Ein heiÃer Schwall durchfuhr Eleonore. Wie gedankenlos sie war! Natürlich muÃte es Sonia schmerzen, zu sehen, welche Möglichkeiten die jüngeren Mädchen hatten â angesichts ihres eigenen, wenig aussichtsreichen Lebens!
»Du hast recht, Sonia. Auch ich bin gespannt, wie es sich so als Schülerin lebt.« Sie hakte sich freundschaftlich bei ihrer Schwester ein und wurde sofort durch ein Lächeln von Sonia belohnt, in dem allerdings der Glanz des Triumphes nicht zu übersehen war.
Stumm und jede in ihre eigenen Gedanken versunken, folgten sie dem Stimmengemurmel. Sie, Eleonore, hatte gut reden. In Johanns Büchern, in denen sie über Küche und Kochkünste lesen konnte, hatte sie eine wundervolle und in ihren Augen schier unerschöpfliche Quelle für ihren Wissensdurst gefunden: die Reihenfolge der Speisen. Die Ausstattung festlicher Büfetts. Die Zusammenstellung eines feinen Menüs. Und natürlich Rezepte aller Art! Seit sie Zugang zur königlichen Küchenbibliothek hatte, vergrub Eleonore in jeder freien Minute ihren Kopf in einem dieser Bücher. Sie wollte herausfinden, was hinter den einzelnen, manchmal recht seltsam anmutenden Titeln steckte. Zu Beginn konnte sie sich nicht vorstellen, wie man ein ganzes Buch nur der Zusammenstellung eines Menüs widmen konnte. Doch als sie die ersten Seiten durchblättert und die wunderschönen Speisekarten erblickt hatte, begann sie die dahinterstehende Kunst zu verstehen. Nicht nur die Speisenfolge richtete sich nach dem Anlaà für die Festlichkeit â auch die künstlerische Verzierung der Menükarten war entsprechend: So hatte Eleonore beispielsweise die Menükarte einer Hochzeitsfeier gefunden, um deren Rand sich unzählige zierliche Elfen, Schwalben und kleine Engel rankten. DieEinladung zu einem Jagdfrühstück hatte auf einem in Form eines Hirsches gestanzten Papier gestanden. Was Eleonore jedoch mit besonderem Entzücken erfüllte, war die Menükarte anläÃlich einer Dichterlesung: Sämtliche Speisen und Weine waren in Form eines frechen Gedichtes aufgeführt! Und erst die Rezeptbücher! Die Folge einer solchen Lektüre war, daà sie nachts wach lag, weil ihr so lange eigene Rezeptideen im Kopf herumschwirrten, bis sie vor Aufregung keine Ruhe mehr fand. Nie im Leben hätte sie sich träumen lassen, wie spannend es in einer Küche zugehen konnte! Nein, man brauchte weder Farbe noch Pinsel, weder ein Musikinstrument noch die Bühne des königlichen Hoftheaters, um ein Künstler zu sein! In Eleonores Augen waren alle, die in der Küche verzehrbare Kunstwerke schufen, begnadete Menschen. Nur hin und wieder schlich sich nach solch sinnesfreudiger Lektüre der
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