Die Zuckerbäckerin
hinzugekommenen Gräber roch säuerlich, wie halbgegorenes Fallobst auf schwäbischen Wiesen. Dumpf drangen die Stimmen der Lagerbewohner zu ihnen herüber, vereinzeltes Lachen, schrilles Keifen und dumpfe Beschimpfungen.
Umständlich nestelte Leonard sein Tabaksäckchen aus der Tasche und begann, seine Pfeife zu stopfen. Er schaute zu Barbara hinüber, die sich wie selbstverständlich auf einem kalten Steinbrocken niedergelassen hatte. Sie deutete mit der Hand auf einen anderen Stein neben sich. Nichts wies mehr auf das kokette Weib hin, das ihm während der langen Schiffsreise geile Blicke zugeworfen und Einblickein ihren Blusenausschnitt verschafft hatte. Jetzt stützte sie lediglich ihren Oberkörper ab, als sei sie müde vom Tragen einer schweren Last.
Noch immer hatte sie die Katze nicht aus dem Sack gelassen. Leonard war versucht, ohne Umstände nach dem Grund für dieses Gespräch zu fragen, doch irgend etwas hielt ihn zurück. Statt dessen sagte er: »Das mit deinem Mann tut mir leid.«
Barbara nickte. »Er war ein guter Mann, âs ist schade um ihn.«
»Was willst du jetzt machen?«
Zum ersten Mal seit ihrem Zusammentreffen umspielte ein kleines Lächeln Barbaras volle Lippen. Ein heiÃer Strahl schoà als Antwort durch Leonards Lenden, und er schalt sich dafür, die Witwe eines anderen Mannes zu begehren. Aber war es denn ein Wunder, nachdem er fast vier Monaten kein Weib gehabt hatte? Doch ihm blieb nicht viel Zeit, sich seiner Scham und Geilheit hinzugeben, denn Barbaras Antwort traf ihn wie ein Blitz aus heiterem Himmel.
»Dich heiraten will ich.«
Leonard glaubte, nicht richtig gehört zu haben. Geräuschvoll verschluckte er seine Entgegnung zusammen mit einem tiefen Zug Pfeifenrauch, so daà er nach Atem ringen muÃte.
»Du hast richtig gehört.« Barbara lieà ihn nicht aus den Augen. Wie ein Greifvogel war sie bereit, nach ihm zu fassen, sollte er angesichts ihrer Offenheit einfach davonlaufen wollen.
Sie hätte sich keine Sorgen zu machen brauchen. Wie gelähmt saà Leonard da und hörte schweigend zu, während Barbara tausend Gründe für eine solche Verbindung anführte. Sie schloà mit den Worten: »Josef und ich würden die weite Heimreise nicht mehr überleben, das weià ich genau. Doch um hierzubleiben, braucht er einen neuenVater und ich einen neuen Mann. Was habâ ich nicht alles hin und her überlegt in den letzten Tagen â das kannst du mir glauben. Schon allein meinem Kind zuliebe muÃte ich jeden noch so abwegigen Gedanken zulassen, wenn er unserer Zukunft dienen könnte. Und doch ist mir nichts anderes eingefallen als das, was ich dir jetzt vorgeschlagen habe. Wenn ich bis zur Weiterreise nicht wieder verheiratet bin, schicken sie mich zurück.«
Endlich fand Leonard seine Sprache wieder. »Vorgeschlagen! Du sagst das so nüchtern, als würdest du mir irgendeinen Handel vorschlagen! Dabei geht es doch um viel mehr! Ich habâ daheim in Stuttgart ein Mädchen, und ich hoffe, daà ich sie sobald als möglich nachkommen lassen kann. Eleonore heiÃt sie. Wie soll ich dich da heiraten?« Insgeheim bewunderte Leonard Barbaras Offenheit, mit der sie ihr Anliegen vorgetragen hatte. Das mindeste, was er ihr schuldete, war, mit der gleichen Ehrlichkeit zu antworten. Daà sie damit umgehen konnte, daran zweifelte er keinen Augenblick lang. Barbara war eine Frau, die den Dingen ins Auge schaute und die nicht, wie sein verehrter Herr Bruder, den Kopf in den Sand steckte. Trotzdem sah er sie bei Eleonores Namen kurz zusammenzucken. Sofort danach straffte sich jedoch ihr Oberkörper wieder, als wäre sie just in dem Augenblick zu einem wichtigen Entschluà gekommen. Beschwörend blickte sie ihn an. »Du sagst, ich würde dir einen nüchternen Handel vorschlagen? Nun, du hast nicht ganz unrecht. Denn ich bin noch nicht fertig mit dem, was ich dir zu sagen habe. Ich â¦Â«
»Halt«, unterbrach Leonard sie barsch. Was machte es für einen Sinn, wenn er sie auch nur einen Satz weiterreden lieÃe? Nie im Leben würde er auf ihren Vorschlag eingehen. »Wieso hast du eigentlich gerade mich als deinen zukünftigen Gatten auserwählt? Es gibt doch noch Dutzende anderer Junggesellen hier.« Seine rechte Hand machte eine allesumfassende Geste in Richtung Lager. »Ich bin mir sicher, daà so mancher viel darum geben
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