Die zwei Monde: Roman (German Edition)
zuvor.
Irene kam um vier, bleich und starr vor Kälte, trotz des Mantels: Ich kochte Tee für uns beide, wir setzten uns in mein Zimmer, und ich erzählte ihr alles. Am Anfang war es schwieriger als mit Ivan: Beim ersten Mal hatte ich ein solches Bedürfnis empfunden, das Ganze loszuwerden, dass mir egal war, was aus meinem Mund kam. Diesmal jedoch wollte ich, dass Irene nachvollziehen konnte, was ich erlebt habe, dass sie sehen konnte, was ich gesehen hatte. Ich wollte, dass sie mich verstehen und mir verzeihen würde.
Ich begann mit langsamen, mechanischen, sorgfältig konstruierten Sätzen. Und ich endete mit einem lauten, wirren Gestammel und wilden Gesten, fortwährend bemüht, nicht völlig die Kontrolle zu verlieren. Es dauerte länger als vorhergesehen, und es wurde schon Abend, als ich endlich fertig war – genau wie damals mit Ivan auf der Bank. Was folgte, war das unvermeidliche Schweigen. Irene starrte auf ihre Hände, die sich um die leere Tasse geschlossen hatten.
Schon nach fünfzehn Sekunden hielt ich es nicht mehr aus. »Sag doch was. Irgendwas.«
Sie hob die Augen, um mich anzusehen. »Was soll ich sagen? Dass ich dir glaube? Ja, ich glaube dir. Vor Samstag hätte ich das nicht getan. Vielleicht. Aber jetzt muss ich dir glauben.«
»… und?«
»Und ich sage dir, dass du eine Wahnsinnige bist, eine verantwortungslose Wahnsinnige, dass du Dinge getan hast, die man nicht mal als dumm bezeichnen kann, weil sie jenseits der Dummheit liegen. Du hättest sofort zu mir kommen und mit mir darüber reden sollen …« Sie warf mir die Arme um den Hals und drückte mich so fest, dass ich keine Luft mehr bekam.
»Warum wolltest du all diese schrecklichen Dinge allein durchstehen?«, murmelte sie durch ihre Haare hindurch, ihre Wange gegen meinen Hals gepresst. »Warum hast du mich aus allem herausgehalten?«
Wir hielten uns eine Zeit lang fest umarmt.
»Und jetzt?«, fragte ich, als wir uns trennten.
»Jetzt wirst du genau das tun, was Ivan dir sagt.«
Von einem Augenblick auf den anderen war sie wieder zu ihrem praktischen, professionellen Tonfall zurückgekehrt, ihrem Mediziner-Ton, und in ihren Augen sah ich den Ausdruck eines Menschen, der ein absurdes Problem in einzelne Segmente zerlegt, um diese rational zu untersuchen. Ich wüsste nicht, ob ich an ihrer Stelle fähig gewesen wäre, so zu reagieren, und nicht vielmehr ängstlich in mich zusammengesunken wäre, weil in meiner vertrauten Welt auf einmal verborgene Ungeheuer und lebensgefährliche Hexenwesen aufgetaucht waren.
»Aber die Strigen haben gesagt …«
»Was interessieren dich die Worte eines Monsters, das dabei war, dein Gehirn zu verspeisen?« Sie schüttelte ihre Locken. »Dein Freund ist der Einzige, der was von der Welt versteht, in die du geraten bist, er ist der Einzige, der auf deiner Seite steht.«
Er ist doch gar nicht mein Freund! , wollte ich dazwischengehen. Er ist nicht …
Ach nein? Und was dann? Was waren Ivan und ich füreinander? …
Irene ergriff meine Hände. »Du musst mir etwas versprechen, Veronica.«
Ihr ernster Tonfall holte mich sofort in die Wirklichkeit zurück. Ich nickte.
»Schließen wir einen Pakt: Wenn du mir versprichst, von jetzt bis Donnerstag früh keinen Unsinn zu machen und Ivans Anweisungen zu folgen, einfach um auf Nummer sicher zu gehen …«
Sie verzichtete auf den Zusatz »und dich in ein gepanzertes Kellerverlies einschließen lässt«.
»Wenn du gerade jetzt nicht den Mut verlierst, verspreche ich dir, nein, schwöre ich dir , dass ich in allem an deiner Seite sein werde, bis wir eine Lösung gefunden haben. Du hast gesagt, es gibt Bücher: Ich werde sie mit euch zusammen lesen, denn drei Köpfe denken besser als zwei. Und ich werde alles tun, was notwendig ist, damit es dir besser geht. Aber erst mal musst du über Mittwochnacht hinauskommen: Das ist vorerst das Einzige, das zählt.« Sie drückte meine Hände noch fester. »Versprichst du mir das?«
Ich nickte wieder. »Ja, ich …«
In diesem Moment war das Geräusch der Wohnungstür zu hören und dann die Stimme meiner Mutter: »Nicaaa! Ich bin zu Hause!«
»Sprechen wir besser nicht mehr davon, wenn sie da ist.«
Irene nickte. »Es ist sowieso spät geworden. Ich muss los.«
Wir umarmten uns nochmals zum Abschied, und ich blieb einmal mehr allein in meinem Zimmer zurück.
Kurz darauf rief ich Ivan an, um ihm zu sagen, dass ich seinen Vorschlag akzeptieren würde und er alles Notwendige veranlassen sollte. Er schien
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