Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die zwei Monde: Roman (German Edition)

Die zwei Monde: Roman (German Edition)

Titel: Die zwei Monde: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Tarenzi
Vom Netzwerk:
sich inmitten der Leute offensichtlich so wohl, wie ich mich nie fühlen würde. Während er sprach, gestikulierte er mit einer Hand, als ob er gerade etwas erklären würde.
    Ich blieb stehen und glotzte wie hypnotisiert diese Hand an, die schmalen und schön geformten Finger, die Bewegung der Muskeln unter der Haut.
    Tatsächlich war das eine Sache von ein paar Sekunden, aber es war mehr als genug: Vielleicht hatte er sich beobachtet gefühlt und deshalb in meine Richtung geschaut; jedenfalls erstarb das Lächeln auf seinen Lippen. Er wandte sich sogar ab und drehte sich so zur Wand, dass ich ihn nur noch von der Seite sehen konnte. Er setzte in dieser Haltung sein Gespräch fort und lächelte, aber bei Weitem nicht mehr so strahlend wie vorher.
    Ich stob mit einer Geschwindigkeit davon, dass Irene in ihrem engen Rock Mühe hatte, Schritt zu halten. Sie folgte mir zurück ins Klassenzimmer und setzte sich an meine Seite, aber sie stellte keine Fragen. Keine Ahnung, ob sie meinen Blickwechsel mit Alex bemerkt hatte oder nur die steinerne Maske, in die sich mein Gesicht verwandelt hatte. Ich war ihr auf jeden Fall dankbar, dass sie mich in Ruhe ließ.
    Was war bloß los? Was hatte sich zwischen uns geändert? Alex war immer total nett zu mir gewesen, und wenn wir es nie geschafft haben, ein wirkliches Gespräch zu führen, dann war das meine Schuld. Unter seinem Blick war ich der menschlichen Sprache plötzlich nicht mehr mächtig und wollte am liebsten die Flucht antreten, aus Angst, über und über rot zu werden. Du hast Wangen aus Porzellan, hatte meine Mutter immer gesagt, als ich ein Kind war, und wenn du aufgeregt bist, sehen sie aus wie reife Erdbeeren.
    Ich ballte unwillkürlich die Fäuste: So konnte das nicht weitergehen. Ich würde ihn zur Rede stellen, und zwar noch heute. Sollte er mir das doch ins Gesicht sagen, wenn er nichts mehr mit mir zu tun haben wollte!
    Für den Rest des Vormittags kochte ich weiter schweigend vor mich hin. Als die Schlussklingel ging, packte ich meinen Rucksack und stand so eilig auf, dass Irene erstaunt die Augen aufriss. In den letzten Wochen hatten wir uns angewöhnt, immer zusammen das Klassenzimmer zu verlassen und uns erst auf der Straße zu trennen, wo ich mich auf den Weg zur Metro machte und sie in den Wagen ihrer Gouvernante stieg, die man geschickt hatte, um sie abzuholen. Diesmal murmelte ich eine Entschuldigung und stürmte davon.
    Ich positionierte mich vor dem Schultor, neben der langen Reihe von Mopeds, die an der Mauer geparkt waren. Ich wusste, dass Alex auch mit dem Motorroller kam, das hatte er mir selbst gesagt: Ich konnte also damit rechnen, ihn dort auf jeden Fall anzutreffen.
    Ich versuchte, mich durch ein paar tiefe Atemzüge zu beruhigen. Ich war so schnell unten, dass jetzt noch relativ wenig Leute aus der Schule kamen, aber in wenigen Sekunden würde das ganz anders aussehen. Hätte ich auch nur eine Minute bei klarem Verstand darüber nachgedacht, was ich da gerade tat, wäre ich wahrscheinlich davongerannt: Ich stand am Schultor und wartete auf einen Jungen, den ich kaum kannte, in der Absicht, ihn mit eiskalter Miene zu fragen, warum er aufgehört hatte, mich anzulächeln, genau wie … wie eine betrogene Freundin.
    Einen Moment später quoll die schwatzende Schülermenge schon zum Tor heraus. Auch Alex erschien, inmitten einer Horde von Jungs und Mädchen, die sich sofort in kleinere Grüppchen teilte. Ich machte eine Bewegung, um ihn abzufangen, während er, immer noch umringt von drei oder vier Leuten, auf dem Gehsteig an mir vorbeiging. Als ich schon dicht hinter ihm war, drehte sich eine seiner Begleiterinnen um und sah mir genau in die Augen, fast als hätte sie schon die ganze Zeit bemerkt, dass ich ihnen folgte.
    Ich war offenbar so außer mir, dass ich den Wasserfall aus goldenen Locken an Alex’ Seite nicht registriert hatte.
    Den Kopf zur Seite geneigt, die Wangen von der kalten Luft gerötet, fixierte mich Angela mit diesem Lächeln, das ich nur allzu gut kannte, das Lächeln eines Menschen, der um unglaubliche Geheimnisse wusste, und auch um die Macht, die man ihm überall auf der Welt so selbstverständlich zugestand.
    Ich stand wie gelähmt und beobachtete, wie sich das Grüppchen voneinander verabschiedete und auflöste. Angela wechselte die Straßenseite, wo Elena und Susanna schon auf sie warteten, und Alex ging weiter zu seinem Motorroller, der ziemlich weit entfernt, fast am Ende der Reihe stand; er setzte den Helm auf,

Weitere Kostenlose Bücher