Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die zwei Monde: Roman (German Edition)

Die zwei Monde: Roman (German Edition)

Titel: Die zwei Monde: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Tarenzi
Vom Netzwerk:
Outfit? Was war das für mich? Eine Rüstung?
    Mein Frühstück wurde gewürzt von dem üblichen Singsang meiner Mutter über mein kränkliches Aussehen, getoppt von einem ihrer sehr hilfreichen Vorschläge, nämlich meine »Meridiane wieder in Balance zu bringen«, und zwar von einem Typen, den sie gut kannte und der in Japan studiert hatte.
    Draußen regnete es in Strömen, aber diesmal hatte ich einen Regenschirm dabei. Das Problem war eher, dass meine Kampfuniform sich als ein wenig leicht herausstellte und Lederjacke und Schal herzlich wenig Abhilfe boten. Ich legte ein solches Tempo an den Tag, dass ich früher als sonst in der Schule ankam, ganz starr vor Kälte. Auf der Treppe traf ich prompt Irene, die in einen mollig warmen, cremefarbenen Kaschmirmantel eingewickelt war; sie lächelte mir zu und hielt den ganzen Weg bis zum Klassenzimmer den Arm um meine Schulter gelegt. Ein zarter Versuch, mich wenigstens ein bisschen zu wärmen.
    In der Schule schien niemand mehr auf mich zu achten, dem Himmel sei Dank. Vielleicht war es ja vorbei, was immer es auch gewesen war.
    Als es zur Pause klingelte, blieb ich im Klassenzimmer, an die Heizung am Fenster gedrückt. Irene leistete mir Gesellschaft. Es befanden sich noch ein halbes Dutzend Leute im Zimmer, und dafür, dass kein Unterricht war, herrschte eine ungewöhnliche Stille. Alex hatte das Zimmer verlassen, und es war mir nicht entgangen, dass er in Gesellschaft der drei Grazien gewesen war. Dass sie miteinander befreundet waren, wusste ich ja schon lange, aber es war offensichtlich, dass sich die Freundschaft in letzter Zeit intensiviert hatte. Ich hatte das Gefühl, jemand würde sein Knie auf meine Brust stemmen und mit seinem ganzen Gewicht draufdrücken.
    Ich schaute angestrengt aus dem Fenster und auf die Dächer, auf die der Regen prasselte. Der Wolkenbruch war gerade so heftig, dass sich um die aufschlagenden Tropfen auf den Dachziegeln kleine Nebelschwaden bildeten.
    Erst nach einer Weile bekam ich mit, dass unten auf der Straße jemand neben der kleinen Mauer stand, die die Grünfläche hinter den parkenden Autos eingrenzte. Ich hatte es aus dem Augenwinkel wahrgenommen, so wie man eine Sache registriert, die man schon eine ganze Weile unbewusst gesehen hat. Dort unten, auf dem Gehsteig, stand das Mädchen mit den Blumen im Haar.
    Sie war es tatsächlich, und sie sah genauso aus wie am Tag zuvor: Dieselben Kleider, dieselbe Haltung, mit dem Rücken an die Mauer gelehnt, als ob sie auf etwas wartete. Nur, dass sie heute patschnass war. Sie stand unbeweglich im Regen, ohne Schirm, und die Leute gingen an ihr vorbei und würdigten sie keines Blickes, als ob sie gar nicht da wäre. Trotz der Entfernung konnte ich nun auch die weißen Spitzen der Blumen in ihrem Haar ausmachen.
    »Irene!«, rief ich. »Komm mal her und schau dir das an.«
    Sie saß gerade in ihrer Bank und las irgendwas, doch jetzt stand sie auf und trat neben mich ans Fenster.
    »Schau dir mal dieses Mädchen an.« Ich zeigte mit dem Finger an der Scheibe nach draußen.
    Irene blinzelte ein paarmal. »Welches?«
    »Das da unten hinter den Autos, mit dem braunen Rock.«
    Meine Freundin presste eine Wange gegen das Fenster und blickte suchend in die entsprechende Richtung, aber dann schüttelte sie den Kopf. »Wo siehst du sie denn?«
    Ich blickte auf den Gehsteig hinunter: Das Mädchen war nicht mehr da.
    Ich presste die Lippen zusammen. »Das kann doch nicht sein, gerade eben war sie noch da! …«
    »Dann wird sie wohl weggegangen sein.« Irene strich sich mit einer Hand übers Haar. »Es regnet, sie wird sich irgendwo untergestellt haben.«
    Ich nickte, nicht im Geringsten überzeugt, während meine Freundin sich wieder hinsetzte.
    Ich hielt noch eine Weile nach dem Mädchen Ausschau, konnte sie aber nirgends entdecken. Als ich mich gerade vom Fenster entfernen wollte, fing ich sie aus dem Augenwinkel wieder ein, genau an der gleichen Stelle, wo ich sie vorhin schon gesehen hatte. Ich öffnete den Mund, um Irene zu rufen, aber im gleichen Moment klingelte es, und im Handumdrehen hatte sich das Klassenzimmer mit Schülern gefüllt.
    Ich musste den ganzen Vormittag über an das Mädchen denken, und nachdem ich mich nach Schulschluss von Irene verabschiedet hatte, ging ich zu der Stelle, wo sie gestanden hatte. Nun war allerdings wirklich niemand mehr da, nur eilige Passanten hasteten vorbei, unter ihren Regenschirmen versteckt.
    Die kleine Mauer vor der Grünfläche ging mir nicht mal bis

Weitere Kostenlose Bücher