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Die Zweierbeziehung

Die Zweierbeziehung

Titel: Die Zweierbeziehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürg Willi
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so wird befürchtet – als Eingeständnis von Schwäche und Unrecht interpretiert. Auch positive Gefühle oder Liebesbedürfnisse zu äußern fällt schwer aus Angst, der Partner könnte daraus Abhängigkeitsgeständnisse heraushören. Ebenso darf man dem anderen nie verzeihen oder für ihn irgendwelches Verständnis aufbringen, denn auch das könnte von ihm als Nachgiebigkeit missbraucht werden. So können banalste Alltagsprobleme nicht gelöst werden, weil es dabei nicht um die Sache, sondern ums Prinzip geht. Der eine schlägt für diesen Abend einen Film vor, der andere hätte diesen Film auch gerne gesehen, aber weil er nicht selbst den Vorschlag gemacht hat, kommt er nicht mit, um seine Autonomie zu beweisen. Oder: Der Mann wäre an sich bereit, sonntags das Frühstück zu machen. Er erträgt es aber nicht, dass die Frau ihm das befiehlt. Die Frau ereifert sich: «Wenn er doch nur ein einziges Mal etwas hilfsbereit und aufmerksam wäre, aber nie, wirklich nie würde er mir etwas zuliebe tun.» Der Mann aber denkt: «Wenn ich ihr hier den kleinen Finger gebe, will sie gleich die ganze Hand und macht mich zum Pantoffelhelden.»
    Der eheliche Machtkampf ist der klassische Fall einer symmetrischen Beziehung, bei der beide sich aus der gleichen Grundphantasie heraus mit ähnlichen Mitteln bekämpfen. Diese beidseitige Grundphantasie ist: «Ich muss den andern beherrschen, um nicht von ihm beherrscht zu werden», «Ich muss den andern von mir abhängig machen, um nicht von ihm abhängig zu werden», «Ich muss den andern frustrieren, um nicht von ihm frustriert werden zu können», «Ich muss den andern auf die Knie zwingen, um nicht von ihm auf die Knie gezwungen zu werden», «Solange ich ihn in der Zange halte, kann er mich nicht in die Zange nehmen». Es geht beim Erstreben von Macht im Grunde vor allem um die Überwindung des Gefühls eigener Ohnmacht. Jeder Teil strebt eine kleine Sicherheitsreserve an, um die Gefahr zu bannen, vom andern beherrscht zu werden. Man will dem andern nur um eine Nasenlänge voraus sein, doch gerade diese Nasenlänge bewirkt die Eskalation (s. W ATZLAWICK , B EAVIN und J ACKSON ). Beide sind dauernd im Angriff aus Angst, in die Defensive gedrängt zu werden. Die Angriffe des Partners werden nur so weit beachtet, wie sich darin Material für einen Gegenangriff findet. Die Interaktion ist gekennzeichnet durch die Tendenz der Partner, gleichzeitig zu sprechen. Zuhören, was der andere sagt, könnte bereits Eingeständnis eigener Schuld sein. So erstarren die Fronten. Trotz großem Geschrei besteht keine eigentliche Kommunikation, das heißt kein Austausch von inhaltlich relevanten Mitteilungen mehr. Der Machtkampf zeigt sich auch im Sexuellen, wo die Partner oft nicht zueinanderfinden können, weil jedes sich scheut, den Anfang zu machen, aus Angst, der andere interpretiere dieses Entgegenkommen als Schwäche, Abhängigkeit und Bedürftigkeit und nütze das aus, um neue Machtansprüche zu stellen oder den Bittsteller abzuweisen und zu demütigen. Diese Hemmung, dem anderen etwas zu geben, kann beim Mann und bei der Frau zur Anorgasmie führen. Sexuelle Hingabe und Ejakulation werden vermieden aus Angst, sich zu vergeben und sich auszuliefern. Der Samen wird eventuell als kostbarer Besitz zurückgehalten.
    Im Grunde sehnen sich beide Partner nach zärtlicher Liebe und passivem Umsorgtwerden, beide können sich aber diese Gefühle und Bedürfnisse nicht zeigen. Es ist, wie wenn sich beide Partner nur mit äußerster Anspannung auf der Autonomieebene halten könnten; sie werden in diesem Bestreben im Kampf mit dem Partner nicht nur gefährdet, sondern auch gestärkt. Die Partner brauchen sich zur Profilierung ihrer Abwehrfunktionen. Das Kämpfen kann als ein Versuch zur Autonomiegewinnung verstanden werden, was möglicherweise von viel zentralerer Bedeutung ist als der libidinöse, sado-masochistische Lustgewinn. Man profiliert sich im Kampf mit dem anderen und gewinnt an Konturen. Der Kampf darf nie zur Ruhe kommen, denn Ruhe heißt drohende Passivität und damit Unterlegenheit.
    Der anale Machtkampf ist häufig gekennzeichnet durch Angstlust (B ALINT , 1960). Der dauernde Kampf trennt und verbindet zugleich, er vermittelt beiden Partnern das lustvolle Erleben einer engen Symbiose und zugleich das ebenso lustvolle Erleben gegenseitiger Abgrenzung und Selbstbehauptung. Eine ernsthafte Trennung würde beidseits zu schweren Angstzuständen führen. Durch die gegenseitigen Provokationen

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