Die Zweierbeziehung
ist man aber derart ineinander verbissen, dass Distanzierung, Ausweichen und Trennung gar nicht möglich sind. Oft mutet der eheliche Machtkampf als Substitutionsform eines Liebesrituals an. Nicht selten gehen die Streitszenen auch direkt in sexuelle Beziehungen über und flammen gleich danach wieder auf. Die Gefahr, in einer Beziehung auf orale Symbiose zu regredieren, kann nur ausgehalten werden, wenn zugleich die Trennung im Streit gesichert bleibt.
Wir sehen nicht selten ein Wiederaufflammen des analen Machtkampfes in der Altersehe. Die Partner brauchen sich ganz und müssen füreinander da sein. Verlust von Prestige, Macht und Ansehen sowie Verarmungsangst können anale Charakterzüge wie Eigensinn, Ordentlichkeit, Sparsamkeit und Starrsinn verstärken. Trennungsängste und Abhängigkeitsängste werden gesteigert durch die Befürchtung, der Partner könnte einem wegsterben und einen allein zurücklassen oder man könnte selbst gebrechlich und hinfällig werden und damit dem Partner ausgeliefert sein. Man möchte sich und dem Partner die ungebrochene Ich-Stärke beweisen und kämpft um die Wahrung der Gleichwertigkeit mit dem Partner. Jedes möchte den Partner in gesicherter Abhängigkeit wissen, ohne sich selbst allzusehr von ihm abhängig zu machen. Der Zwiespalt zwischen Abhängigkeit und Bestreben, sich seine Autonomie zu beweisen, führt zwischen alten Leuten oft zu grotesken Bildern von Machtkämpfen, Zänkereien und bösen Streichen wie in folgendem Beispiel:
Beispiel 10: Ein 64-jähriger Mann hatte vor vier Jahren sein Geschäft liquidiert und sich ganz auf das häusliche Leben zurückgezogen. Seither ging es in seiner Ehe viel schlechter. Scheinbar bestand der ganze Lebensinhalt dieses Mannes darin, seine Frau zu quälen. Sie beschuldigten sich gegenseitig der Geldgier, hielten sich vor, wie sie miteinander einen schönen Lebensabend haben könnten, wenn nur der andere nicht so egoistisch wäre. Der gegenseitige Stellungskrieg hatte zu folgender Wohnsituation geführt: Der Mann hatte im Flur eine Pavatexwand eingezogen, durch die die Wohnung in zwei Abteile mit je zwei Zimmern getrennt wurde, was den Partnern erlaubte, ein und aus zu gehen, ohne einander zu sehen. Um die Vermeidung einer Begegnung zu sichern, hatte er begonnen, tagsüber zu schlafen und nachts zu leben, während die Frau am gewohnten Schlaf-wach-Rhythmus festhielt. Die Frau ihrerseits hatte die an die Räume des Mannes angrenzenden Wände mit Boucléteppichen schalldicht zu machen versucht. Trotz all dieser Trennungsbemühungen waren die Partner vollständig aufeinanner bezogen. Die gemeinsame Benützung der Toilette, der Küche und des Bads bot genügend Gelegenheiten, einander zu ärgern und miteinander zu kommunizieren. Dies geschah allerdings nur auf schriftlichem Wege oder durch averbales Agieren. Ein beliebtes Mittel des Mannes, um die Frau zu ärgern, war, in die Badewanne hineinzukoten, in die Pfannen zu erbrechen und ins Abwaschbecken zu urinieren. Fast alltäglich schrieb er eine Botschaft an seine Frau nieder, die meist etwa folgenden Wortlaut hatte: «Du bist schon im Mutterleib verflucht gewesen, du Hurensau. So verfluch auch ich dich, dich, du Siech, dich vergift ich jetzt, und zwar mit einem Mittel, mit dem du nicht sofort verreckst, sondern mit dem du noch 4 Wochen zu leiden hast.»
Er schrieb auch seiner Frau, er sei Atomphysiker und könne mit seinen zwei Ultraviolettlampen schweres Wasser herstellen. Er könne diese Erfindung verkaufen oder auch die ganze Stadt Zürich in die Luft sprengen. Die Frau glaubte halbwegs an diese Erfindungen und war beunruhigt von seiner Drohung, das Haus anzuzünden, wenn sie gerade einmal schlafe. Auch behauptete er, er könne als Pendler kosmische Strahlen in sich aufnehmen und damit Leben und Tod von Menschen vorausbestimmen und beeinflussen. Schließlich wurde es der Frau aber doch zu bunt, und sie trennte sich von ihm.
Damit verfiel der Mann in Apathie und Verwahrlosung, sodass er schließlich in die psychiatrische Klinik aufgenommen werden musste. Nachdem er dort schon einige Monate hospitalisiert war, sprach die Frau bei den Ärzten vor und bot sich als Fürsorgerin ihres Mannes an. Sie sagte, sie möchte doch versuchen, ihn jetzt, wo er sich so ordentlich beruhigt habe, wieder zu sich zu nehmen. Ein Jahr nach der Entlassung schrieb sie in einem Brief an den Arzt: «Es freut mich sehr, Ihnen mitteilen zu können, dass sich der Zustand meines Gatten seit seiner Entlassung sehr
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