Die Zweierbeziehung
wieder zu hintergehen. So weiß er zum Beispiel bis heute nicht, dass ihr Kind nicht von ihm, sondern von einer außerehelichen Liebschaft stammt. Auch sonst unternahm sie vieles, was ihr Mann nicht erfahren durfte, geriet aber in letzter Zeit in zunehmende Angst vor den Konsequenzen, wenn ihre Heimlichkeiten herauskommen sollten.
Unter dem Schutz der Hospitalisation begann die Frau gleich gegen den Mann zu agieren: Schon am Eintrittstag veränderte sie ihr Äußeres. Sah sie zuvor mit straff gekämmtem Haar, Brille und altmodischer Kleidung bieder und hausbacken aus, so ließ sie sich jetzt eine sportliche Lockenfrisur schneiden, kaufte sich Shorts und enge Hosen (was bisher vom Mann verboten war) und schminkte sich provozierend auf. Der Mann war aufgebracht über diese Veränderung und vermutete in unserer Klinik ein staatlich toleriertes Bordell. Tagelang beobachtete er mit einem Fernglas aus gesicherter Distanz das Treiben unserer Patientin in der Klinik. Jetzt selbst in der sadistischen Position, genoss es die Frau, auf den Wochenendbesuchen den Mann zu provozieren, wo sie nur konnte. Hatte sie zuvor in ständiger Angst vor ihm gelebt, so fühlte sie sich nun in der Position des Mächtigen und war erstaunt, wie klein sie den Mann kriegen konnte. Zwar drohte der Mann immer wieder, den behandelnden Arzt oder die Stationsschwestern umzubringen. Trotz seiner körperlichen Behinderung war seine Körperkraft noch gewaltig, sodass kaum jemand von uns sich gerne mit ihm gerauft hätte. Mehr und mehr wurde der Mann aber windelweich, geriet in immer größere Angst, seine Frau könnte sich von ihm scheiden lassen, und drohte schließlich mit Suizid.
In der Therapie wurde versucht, das Agieren der Frau zu deuten. Die Frau gewann Einsicht, dass sie ihrem Mann gegenüber nicht nur, wie anfänglich angegeben, Angst verspürte, sondern dass diese Angst ihr gleichzeitig Lust bereitete. Das Aufgeben des Agierens und der Wegfall dieser Angstlust versetzten sie in eine dysphorisch-depressive Verstimmung. Eine Zeitlang schien sie die Scheidung ernsthaft und konkret anzustreben, weil sie über die sado-masochistische Sexualbeziehung hinaus keine echte Beziehung zu ihrem Mann verspürte. In dem Moment, wo die eingeleiteten Schritte aber zu konkreten Konsequenzen hätten führen sollen, zog sie alles zurück, brach die Behandlung ab und kehrte in die alten Verhältnisse zurück.
Der eheliche Machtkampf Ehelicher Machtkampf
Die meisten Kollusionen, die in diesem Buch besprochen werden, beruhen auf der Komplementärbeziehung eines bezüglich der gemeinsamen Grundthematik progressiven mit einem regressiven Partner. Nun gibt es auch symmetrische Kollusionen (s. W ATZLAWICK , B EAVIN und J ACKSON ), in denen die Partner sich mit gleichartigem Verhalten zu überbieten suchen. Im ehelichen Machtkampf streben beide Partner unter dem Einfluss ihrer verleugneten Abhängigkeitswünsche die autonome Machtposition an.
Der eheliche Machtkampf führt häufig in die Ehetherapie, erweist sich aber als recht therapieresistent. Die Therapiesitzungen werden zu Streitsitzungen, in denen vom Therapeuten nichts anderes erwartet wird als ein Schiedsspruch zu eigenen Gunsten. Die Partner benehmen sich oft wie zwei Kinder vor der Kindergartentante. Jeder verklagt den anderen wegen scheinbarer Bagatellen. Jeder legt in haarspalterischer Weise seinen Standpunkt dar und sucht zu beweisen, dass er im Recht sei. Der andere führt den Gegenbeweis. Jeder belegt einen richtigen Aspekt des Sachverhaltes, setzt aber andere Proportionen und Akzente. Sobald der eine unter der Beweisführung des anderen in Bedrängnis gerät, weicht er auf andere Vorkommnisse aus, die sich zum Gegenangriff eignen. Jeder hält einen Vorrat längst vergangener Ereignisse. Für den Außenstehenden ist es oft schwer verständlich, weshalb diese Paare dauernd streiten und weshalb sie überhaupt beisammenbleiben, wenn Streiten ihre einzige Beziehungsform ist. Mancher Therapeut rät deshalb voreilig zur Scheidung, was aber am Problem vorbeigeht, denn eine Trennung wollen ja beide gerade durch den Machtanspruch verhindern. Der Dauerangriff resultiert aus der Angst, dem anderen zu unterliegen, sobald man die geringste Schwäche zeige. Deshalb ist es in der gemeinsamen Therapie schwer, analytisch die Hintergründe der beidseitigen Fehlhaltung aufzuarbeiten, weil jedes dem anderen Schwäche und Versagen nachweisen will, keines aber sich irgendeine Blöße leisten kann. Einsicht würde –
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