Die zweite Frau des Arztes (Contoli-Heinzgen-Krimi)
wenn ich zur Sicherheit noch ein Foto machen dürfte?“
***
Wolf lag auf dem Sofa. Da Anke unterwegs war, hatte er den Sonntagnachmittag damit zugebracht, Praxisarbeiten zu erledigen und seine Eindrücke über Eva Seitz festzuhalten. Jetzt dachte er an seine Mutter, an Ankes Bemerkung und dass er mal wieder zum Friedhof müsste. Wohlweislich hatte er nach Mutters Tod gleich für die Pflege des Doppelgrabes den nahegelegenen Blumenladen beauftragt. Mutter hatte seinen Vater nur drei Jahre überlebt und lag nun auch schon fast über ein Jahr neben ihm. Die Erinnerung an sie schmerzte. Er wusste, dass sie ihn sehr geliebt hatte, aber gegen Vaters raubeinige dominante Art war sie nicht angekommen. Was seine beiden Kinder betraf, hatte es für ihn nur seine Tochter Claudia gegeben. Sie war Vaters kleines Mädchen gewesen, auch noch, als sie längst verheiratet war und selbst zwei Kinder hatte.
„ Ja Vater, so war es“, sagte Wolf laut und kam aus der liegenden Stellung in die Sitzende „mich hast du nur als Prügelknabe gesehen, der deinen Frust ausbaden musste.“ Wolf erregte sich. „Und Mutter hat immer nur gelitten, du Mistkerl.“
Sie war der Auslöser zu seinem Entschluss gewesen, Psychologie zu studieren, weil er die Menschen verstehen wollte. Eigenartigerweise war er dann aber nach dem Studium zehn Jahre an der Uni hängen geblieben und hatte in der psychologischen Forschung als auch in der forensischen Psychologie gearbeitet. Während der Zeit hatte ihn sein mangelndes Selbstbewusstsein ziemlich gequält und Frauen schienen ihn überhaupt nicht gesehen zu haben.
Beim Stichwort Frauen wechselten seine Gedanken hinüber zu Anke. Hatte er tatsächlich unbewusst seine unerfüllten kindlichen Sehnsüchte, seine erlittenen Defizite auf sie übertragen? Erwartet, dass sie bitte die Eigenschaften haben möge, die er an seiner Mutter vermisst hatte? War daran sein eheliches Zusammenleben mit Anke gescheitert? Er musste irgendwann mit seinem Supervisor darüber reden.
Wolf erhob sich vom Sofa, steckte die Hände in die Hosentaschen und begann, im Zimmer umherzuwandern, wie er es immer tat, wenn seine Gedanken kreisten. Er blieb stehen, hob den Kopf und betrachtete die hohe, jugendstilbemalte Zimmerdecke. Vor seinem geistigen Auge sah er die kleine Dachbude direkt darüber. Sie war seine erste Behausung gewesen, nachdem er gleich nach dem Abitur von zu Hause ausgezogen war. Die Eigentümer dieses Hauses hier in Poppelsdorf waren zwei alte Leutchen gewesen, geboren noch im achtzehnten Jahrhundert. Irgendwann hatten sie ihren unter dem Dach wohnenden Studenten zum literarischen Kaffeekränzchen eingeladen. Es war um russische Literatur gegangen, von der er keine Ahnung hatte. Aber es war trotzdem ein herzliches Beisammensein geworden. Am Schluss hatten sie ihn gebeten, doch das ein oder andere am Haus zu reparieren. Er hatte eingewilligt und das Haus von oben bis unten kennengelernt. Eines Tages konnte er sich von dem Geld, dass er durch die Hausreparaturen verdiente, ein besseres Zimmer leisten, doch der Kontakt zu den beiden alten Leutchen und dem Haus war geblieben. Nachdem die Frau gestorben war, kümmerte er sich weiter um den Mann, hatte ihm einen Krankenhausplatz besorgt, als es zu Ende ging. Dort hatte ihm der alte Herr offenbart:
“Wir, meine Frau, als sie noch lebte, haben beschlossen, Ihnen das Haus zu vererben, weil Sie es am besten kennen und wir ja auch keine Erben haben.“
Er war ganz aus dem Häuschen gewesen, ein Haus, ein eigenes Haus. Wolf spürte die Freude darüber wieder in seinem Herzen aufkommen. Heute stand das Haus unter Denkmalschutz, war renoviert und restauriert und sein ganzer Stolz. Zwei Jahre hatte er mit seiner ersten Beziehung hier gelebt. Als diese Misere endlich zu Ende war, glich er einem Wrack. Hatte getrunken, sich jeden Abend in Kneipen herum getrieben und war fast an seinem Leben verzweifelt. In dieser Zeit hatte er sich entschlossen, eine Therapie durchzustehen, die sein Leben umkrempeln und seinen Focus ändern sollte. Die Entscheidung war sein Glück gewesen. Sie hatte ihn dazu gebracht, sich mit seinem Leben auseinanderzusetzen. Und so schmerzlich es gewesen war, auch mit seiner Kindheit. Aber Mutter hatte er wohl nicht gänzlich aufgearbeitet. Diese Therapie hatte in ihm den starken Wunsch geweckt, selbst als Therapeut zu arbeiten. Neben seiner Arbeit an der Uni hatte er damals nebenher seine Therapeutenausbildung absolviert und sich in seinem Haus
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