Die zweite Invasion - Legenden der Zukunft (German Edition)
Freudenfeste. Sie feierten die Attentäter als Helden, obwohl sie Hunderte Unbeteiligte getötet und das ganze Schiff in Gefahr gebracht hatten. Natürlich bezweifelten wir die ersten Berichte und forderten weitere Stichproben an, aber die erbrachten das gleiche Resultat: Alle unsere Annahmen waren falsch gewesen. Es war zwar richtig, dass die Passagiere in ihrer Mehrzahl in gesicherten Umständen leben wollten, dass sie die Übergriffe der Mareen , der Khmin und anderer Gewalttäter fürchteten und geordnete Verhältnisse schätzten, aber das bedeutete keineswegs, dass sie bereit waren, unsere Anwesenheit zu akzeptieren oder auch nur zu dulden. Was sie einte, waren weder gemeinsame Interessen noch sonstige Überzeugungen, sondern ausschließlich der Hass auf uns!«
»Und das wunderte Sie?«, konnte Leon sich nicht enthalten zu fragen.
»Ja, das wunderte uns«, gab der Besucher zu. »Denn fernab jeglicher moralischer Bewertung war ihr Verhalten vollkommen irrational . Folglich gab es keine Basis für eine Verständigung, so schwer das auch zu akzeptieren war.«
»Bei uns gibt es ein Sprichwort, das es wohl recht gut trifft«, bemerkte Leon nachdenklich. »Warum hasset Ihr mich, ich habe Euch doch gar nichts Gutes getan.«
»In Ihrer Welt pflegt man offenbar eine recht eigenwillige Logik, Señor Castillo«, erwiderte der Sprecher mit einem ironischen Lächeln. »Aber Sie sollten aus unseren Schwierigkeiten keine falschen Schlüsse ziehen. Die Geschichte ist noch nicht zu Ende.«
»Also brachen Sie die Mission nicht ab?«
»Nein , so unbefriedigend die Situation auch war.«
»Und warum nicht, wenn ich fragen darf?«
»Es gab ein Problem. Der Kreuzer steuerte auf eine Materie-Ansammlung zu, deren Dichte und Zusammensetzung nach Ansicht unserer Wissenschaftler eine Kollision wahrscheinlich machte.«
»Und Sie wollten das Schiff nicht seinem Schic ksal überlassen?«
Die Kurs-Korrektur! Allmählich bekamen die Elemente des Puzzles Struktur. Leon spürte, wie sich sein Pulsschlag erneut beschleunigte.
»Korrekt. Unsere Experten fanden einen physik alischen Ansatz, den Kurs des Schiffes so zu modifizieren, dass er an der verdächtigen Struktur vorbeiführte. Die Schwierigkeiten waren enorm, aber nach einigen Wochen angestrengter Arbeit gelang das Vorhaben auch praktisch. Der Kreuzer war nicht mehr auf Kollisionskurs.«
»Aber Sie erwarteten nicht mehr, dass Ihnen die Passagiere dafür um den Hals fallen würden?« Leon flüchtete sich in Sarkasmus, um seiner Anspannung Herr zu werden.
»Sie wussten weder um die Kollisionsgefahr noch bemerkten sie die Kursänderung«, erwiderte der Sprecher ernst. »Wir entschieden für sie, und um ein Haar hätten wir sie damit umgebracht – alle.«
Die Dimension, die dieses alle umfasste, sprengte Leons Vorstellungsvermögen. Ohne dass er es bewusst wahrnahm, verkrallten sich seine Finger im Bezug des Sessels.
»Was ist passiert?«
»Das Schiff geriet in ein Zeitbeben – ein Phänomen, das ebenso selten wie unvorhersehbar ist. Deshalb vermochten uns die Systeme auch nicht vorzuwarnen.«
»Was ist das?« Leons Stimme klang heiser.
»Die Bezeichnung ist schon recht treffend. Die Zeit verliert ihre gewohnte lineare Struktur und springt sozusagen vom Gestern über das Übermorgen zum Heute, im Extremfall sogar über Tage und Wochen. Auf unbelebte Materie haben diese Sprünge kaum Auswirkungen, aber für biologische Wesen sind sie tödlich, da die bioelektrischen Vorgänge im Körper plötzlich unkoordiniert ablaufen. Für eine Kurskorrektur blieb keine Zeit, zumal wir nicht wussten, wo das Epizentrum des Bebens lag. Außerdem kam die Warnung durch die Pfadfindersonde zu spät. Also taten wir das einzig Mögliche: Wir versetzten unsere Körper in Stasis und aktivierten ein automatisches Reanimationsprogramm, bevor wir das Bewusstsein verloren. Für die Passagiere konnten wir nichts mehr unternehmen ...«
Der Sprecher verstummte, und seine Miene zeigte einen fast rührenden Ausdruck von Verlegenheit.
»Aber sie überlebten dennoch.«
»Ja, die meisten jedenfalls. Nur wissen wir bis heute nicht, wie . Als wir zu uns kamen, ging das Leben an Bord schon wieder seinen üblichen Gang. Das Zeitbeben lag hinter uns. Vielleicht war es ja nur ein winziger Ausläufer gewesen, der keine Schäden angerichtet hatte. Aber das erklärte nicht den Kurs des Schiffes ...«
»Lassen Sie mich raten«, warf Leon in plötzlicher Gewissheit ein. »Es war der vorherige.«
»Genau so war es«,
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