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Die zweite Invasion - Legenden der Zukunft (German Edition)

Die zweite Invasion - Legenden der Zukunft (German Edition)

Titel: Die zweite Invasion - Legenden der Zukunft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank W. Haubold
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hätte orientieren können.
    Es war auch nicht mehr wichtig.
    Die im elektronischen Gedächtnis des Schiffes gespeicherten Sternenkarten waren Menschenwerk und der Sehnsucht nach klaren Verhältnissen geschuldet. Schon unterwegs, nach den ersten Raumsprüngen und der Passage diverser Singularitäten, waren sie so hilfreich gewesen wie antike Seekarten. Der Kapitän bedurfte ihrer nicht mehr, hatte sie hinter sich gelassen wie so vieles andere auch.
    Hier zählten andere Dinge, die nichts mit Koordinaten, Zahlen und Kommastellen zu tun hatten. Er hatte aufgehört, nach den Sternen zu sehen, und er führte auch kein Buch über die Stationen seiner Reise. Er musste niemandem mehr Rechenschaft ablegen, das war einer der wenigen Vorzüge, die das Alter mit sich brachte.
    Der Kapitän war schon alt gewesen, als er zu di eser, seiner letzten Reise aufgebrochen war. Das war lange her, und inzwischen hatte er es aufgegeben, die Tage an Bord zu Wochen, Monaten und Jahren zusammenzufügen. Zwischen den Sternen gab es keine Zeit. Sie war eine Illusion wie der Wechsel zwischen Tag und Nacht, der in seinen Genen verankert war und seinen Ursprung an einem Ort hatte, der nur noch als Mythos existierte.
    Er hatte viel gesehen unterwegs, hatte Orte b esucht, die noch keines Menschen Fuß betreten hatte. Manche hatten sich ihm eingeprägt, andere – die meisten – blieben Momentaufnahmen, die verblassten wie das Licht vorbeiziehender Sterne.
    An Bord der »Orpheus« war der alte Mann Kap itän, Pilot und Navigator zugleich. Es war nicht besonders anstrengend, diese Positionen auszufüllen, denn die Mehrzahl der Aufgaben nahm ihm das Schiff ab. Er hatte die künstliche Intelligenz an Bord »Rector« getauft, denn letztlich war sie es, die das Schiff instand und auf Kurs hielt – zuverlässig, wachsam und niemals ermüdend.
    Früher hatte der Kapitän manchmal darüber nachg edacht, wie es wohl wäre, einen Reisegefährten aus Fleisch und Blut zu haben. Aber das war keine ernst gemeinte Erwägung, denn die Nachteile eines derartigen Arrangements waren zu offensichtlich. Der Kapitän hatte ausreichend Erfahrung mit Zwangsgemeinschaften unterschiedlicher Größe und Zusammensetzung und wusste, dass es keine härtere Prüfung für eine Freundschaft gab als das Zusammenleben in einer winzigen luftgefüllten Kapsel inmitten des Nichts.
    Die Vorstellung war ohnehin rein hypothetisch, denn die »Orpheus« hatte nicht nur den von Me nschen bewohnten Spiralarm der Galaxis weit hinter sich gelassen, sondern auch die Sphäre der Gesetzlosen und Abenteurer, die in ihren fliegenden Nomadenstädten das Weltall durchstreiften.
    Sie hatten ihm Glück gewünscht für die Reise, damals, und das war durchaus ernst gemeint gew esen ebenso wie die Segenswünsche der Ordensmänner, deren abgelegene Abteien die letzten Außenposten der Menschheit darstellten.
    Im Grenzland galt sein Name noch etwas, und so hatte in ihren Grußbotschaften Respekt mitgeklu ngen und natürlich eine Spur Neugier. Vermutlich hatten sie von seinem Vorhaben erfahren – die Ordensmänner waren stets wohlinformiert – und schätzten seine Chancen gewiss nicht besonders hoch ein. Dennoch glaubte er zwischen den Zeilen eine gewisse Verunsicherung herauszulesen, ihm, dem Außenseiter gegenüber: Was, wenn seine Mission, bis an die Grenzen des Universums vorzudringen, tatsächlich Erfolg hatte ...?
    Der Kapitän dachte in anderen Kat egorien und hätte einen Begriff wie »Mission« niemals verwendet. Er hatte nicht vor, jemanden zu bekehren, nicht einmal sich selbst. Er war nicht religiös, zumindest nicht in der landläufigen Bedeutung des Wortes. Dennoch respektierte er den Orden und hatte vor seinem Abflug ein längeres und durchaus offenes Gespräch mit Pater Amseln, dem Abt von Agion Oros, geführt. Sie kannten sich seit vielen Jahren und  hatten keine Geheimnisse voreinander.
    Natürlich hatte der Abt sich erku ndigt, was er denn dort draußen anzutreffen hoffe, doch der Kapitän war ihm die Antwort schuldig geblieben – nicht aus bösem Willen oder weil er sich für seine Naivität schämte: Es war ihm nur unmöglich, seine Motive in klare Worte zu fassen. Im Grunde war das, was er vorhatte, völlig irrational, aber das änderte nichts an seiner Entschlossenheit: Er musste diese Reise antreten, ganz gleich, was ihn am Ende erwartete . Sie war sein letzter großer törichter Traum. Ihn aufzugeben bedeutete, sich selbst aufzugeben und jenen Rest an Unternehmungsgeist und

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