Die zweite Invasion - Legenden der Zukunft (German Edition)
auftauchte. War es aus der Vogelperspektive noch weitgehend unversehrt erschienen, so offenbarte die Nahaufnahme das ganze Ausmaß der Zerstörungen: Fenster waren zerborsten, Türen aus den Angeln gerissen, Tankanlagen, Antennen und Parabolspiegel vollkommen zertrümmert. Selbst der massive Stahlkörper des Habitats war so stark beschädigt, dass sich die Wände konvex nach außen wölbten. Kein Sturm oder Orkan vermochte derartige Zerstörungen anzurichten. An Überlebende war unter diesen Umständen nicht zu denken.
Eine Machwellen-Bombe, dachte Vincent, bevor ihm klar wurde, was das letztendlich bedeutete. Waffen dieser Art wurden nirgendwo gehandelt. Peplosphären-Bomben waren zu Zeiten der Kolonialkriege entwickelt worden, um gegnerische Luftlandetruppen zu bekämpfen, ohne das Areal dauerhaft radioaktiv zu verseuchen. Um sie gezielt einzusetzen, benötigte man geeignete Trägermittel und militärisches Know-how. Sie wurden in niedriger Höhe gezündet und töteten im Umkreis von bis zu zehn Meilen jedes Lebewesen, das größer als eine Mikrobe war. Für Terroristen war die Waffe zu unhandlich und vermutlich auch schwerer zu beschaffen als nukleare Sprengsätze, und das organisierte Verbrechen schied ohnehin aus. Wer immer für diese Aktion verantwortlich war, musste sehr gute Verbindungen zu militärischen Stellen haben ...
Dann zündeten die Bremsraketen, und Vincent wu rde erneut in seinen Sessel gepresst, während ein Zittern durch den Rumpf der »Diana« lief, das sich mit abnehmender Geschwindigkeit verstärkte. Fast wie in Zeitlupe senkte sich das Schiff auf einer weißen Feuersäule herab, bis es schließlich mit einem fast unmerklichen Ruck aufsetzte. Erst jetzt wich die Anspannung allmählich, und wie stets nach der Landung dauerte es ein wenig, bis sich seine Muskeln und Nerven an die neuen Schwerkraftverhältnisse gewöhnt hatten.
Vorsichtig, als befürchte er, irgendwo anzust oßen, richtete sich Vincent auf und ließ dabei den Monitor keinen Augenblick aus den Augen. Die Bilder der Außenkameras offenbarten nunmehr das gesamte Ausmaß der Zerstörungen, nein, weniger der Zerstörungen – es gab ja nur ein einziges Gebäude – als vielmehr des Massakers . Der Begriff drängte sich wie von selbst in Vincents Bewusstsein ebenso wie die Worte der Pythia: Du wirst dort die Niedrigsten der Niedrigen in ihrem Blute vorfinden ...
Das Blut der Vogelmenschen war inzwischen schwarz und geronnen, dennoch konnten sie noch nicht lange tot sein, denn ihre Körper wiesen keine rlei Anzeichen von Verwesung auf. Es waren Hunderte, die da verstreut über das Areal des ehemaligen Flugfeldes lagen, einzeln oder in Gruppen von manchmal mehreren Dutzend. Die Machwelle musste sie völlig unvorbereitet getroffen haben, wobei offen blieb, weshalb sie sich überhaupt so zahlreich an diesem Ort aufgehalten hatten. War es der Brutplatz der unglücklichen Geschöpfe gewesen oder gar eine Zuchtstation?
Falls es Überlebende gab, dann hielten sie sich außerhalb der Reichwerte der Infrarot- und Bio-Scanner der »Diana« auf, die bislang keinerlei Akt ivität verzeichnet hatten. Die Wahrscheinlichkeit war allerdings äußerst gering.
Das galt auch für die Stalive -Aktivisten, auch wenn die Kameraaugen des Schiffes bislang keine menschlichen Opfer gesichtet hatten. Wahrscheinlich hatte sich die Besatzung während des Angriffs innerhalb des Gebäudes aufgehalten. Er würde es untersuchen müssen, schon allein, um den Verbleib der Zielperson aufzuklären.
Vincent hatte seinen Auftrag nicht vergessen. Ein Jäger vergaß niemals einen Auftrag. Er musste herausfinden, ob sich der Gesuchte unter den Opfern befand, und wenn nicht, ob und auf welchem Wege er den Planeten verlassen hatte. In jedem Fall musste er sich zumindest zeitweise hier aufgehalten haben, dieser ominöse Mr. Echo, anders waren weder sein Auftrag noch der Orakelspruch zu erklären: ... niedergestreckt von einem Streich, der einem anderen galt.
Das mochte so sein oder nicht, Vincents Aufgabe war es, für Gewissheit zu sorgen. Bevor er sich selbst auf den Weg machte, beorderte er zwei Meh rzweckroboter mit dem Auftrag nach draußen, die sterblichen Überreste der Vogelmenschen zumindest insoweit zu untersuchen, dass weitere Opfer ausgeschlossen werden konnten. Es war eine Sisyphusarbeit, die zudem an Leichfledderei grenzte, aber letztlich alternativlos. Es gab Momente, in denen Vincent seinen Beruf verabscheute, und dieser gehörte zweifellos dazu
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