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Die zweite Kreuzigung

Die zweite Kreuzigung

Titel: Die zweite Kreuzigung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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hatten. Beim Flackern der Lämpchen und den huschenden Schatten blickten sie einander ins Gesicht und sahen, wie betroffen sie waren. All das Militärische, das sie verhärtet und sie gelehrt hatte, ohne Reue zu töten, war von ihnen abgefallen. Eine unbekannte Kraft von weit her hatte sie zum Schweigen gebracht, gleichsam in ihren Bann geschlagen. Sie konnten nichts tun, als sich dieser großen Stille zu unterwerfen, bis einer von ihnen die Sprache wiederfand.
    Es war, als seien Engel mit Flügeln so weit wie die Wüste in diesen engen, luftlosen Raum herabgestiegen und hätten sie über sie gebreitet, um sie auf eine neue Unruhe und eine kommende andere Ordnung der Dinge vorzubereiten.
    Der Erste, der wieder etwas sagte, war Gerald.
    »Ich kann das alles … nicht glauben. Ich verstehe nicht, wie …«
    »Sie sind hierhergekommen, nachdem Jerusalem zerstört und geplündert wurde. Als man den Tempel niedergebrannt hatte. Sie müssen die Gebeine auf dem ganzen weiten Weg von den Familiengräbern außerhalb der Stadt bis zu diesem, ihrem neuen Wohnort, mit sich geführthaben. Alexander und Rufus können damals noch nicht sehr alt gewesen sein, vielleicht waren sie noch gut bei Kräften. Sicher sind sie es gewesen, die die Gebeine ihres Vaters auf der Flucht mitnahmen. Als sie diesen Ort erreichten, mussten sie neue Grabstätten für sie errichten. Wer weiß, wessen Gebeine noch auf Maultieren oder Kamelen hierhergeschafft wurden. Wie viele der zweiten und dritten Generation starben und hier begraben sind.«
    »Und was bedeutet das dort?«, fragte Bill Donaldson und wies auf den großen hölzernen Schrein, von dem er annahm, dass er einem Zweck diene, der über allem anderen stehe. Abgesehen von den vergoldeten Engeln auf jeder Seite trugen seine Türen nur eine einfache Inschrift in Hebräisch. Die Lettern hatte man fein aus dem Holz herausgeschnitzt und dann mit Blattgold belegt. Obwohl das vor Jahrhunderten geschehen sein musste, leuchteten sie so stark, als wären sie von einem göttlichen Feuer erfüllt.
    Soweit Max erkennen konnte, war der Schrein aus Zedernholz gemacht. Als er ihn beim Licht der Taschenlampe genauer in Augenschein nahm, sah er, dass er außer den Inschriften mit feinen Pflanzen- und Blumenornamenten geschmückt war, die ein äußerst geschickter Handwerker gefertigt haben musste. Einer, der vielleicht in seiner Jugend am Tempel gearbeitet hatte. Er vermutete, vieles hier konnte von den Händen solcher Männer geschaffen worden sein, von Bauarbeitern, Mosaikmachern und Bildhauern, die das riesige Bauwerk des Herodes gepflegt, deren Väter und Großväter es vielleicht errichtet hatten.
    Die Türflügel wurden nicht von einem Schloss, sondern nur von einem Metallhaken zusammengehalten und wiesen auf beiden Seiten eiserne Griffe auf. Max versuchte vorsichtigden Haken zu lösen. Er war nicht verrostet, hatte sich aber über die Jahrhunderte arg verklemmt. Donaldson, der Praktischste unter ihnen, löschte eines der Öllämpchen und ließ ein paar Tropfen Öl auf das Metall fallen. Es bewegte sich. Nach einer Weile sprang der Haken heraus. Das knirschte, als sei etwas lange Zusammengepresstes endlich befreit.
    Max zog an einem der Griffe. Nach einigem Widerstand ließ sich die Tür öffnen. Ein starker Duft strömte aus der Lade. Als Max hineinschaute, sah er als Erstes eine Schicht trockener Rosenblätter, die man über den Inhalt gebreitet hatte.
    Sie waren voller Erwartung, aber daran hatten sie nicht gedacht. Dabei wusste jeder in der Tiefe seines Herzens, dass sie mit dem Betreten dieses Ortes einen Punkt überschritten hatten, von dem es kein Zurück mehr gab.
    Der Kasten im unteren Teil des Schreins war weiß und von allen Seiten reicher mit Schnitzereien geschmückt als die anderen. Er trug vorn eine Inschrift, die mit größter Sorgfalt ausgeführt war – zunächst auf Griechisch, dann auf Hebräisch oder dem ihm verwandten Aramäisch, was keiner von ihnen ergründen konnte.
    In einem Fach über dem Kasten lagen mehrere Gegenstände, die nicht sehr groß waren, außer zwei langen Stangen, die man wegen ihrer Größe diagonal in den Schrein gesteckt hatte.
    »Was ist denn das, um alles in der Welt?«, fragte Donaldson, der seine Neugier nicht mehr im Zaun halten konnte. Der sonst so kühle Wissenschaftler war nicht wiederzuerkennen.
    Max griff hinein und nahm die beiden Stangen vorsichtig heraus. Die erste war aus Holz, etwa 1,20 Meter lang undhatte am Ende etwas wie einen dicken Griff. Die

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