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Die zweite Kreuzigung

Die zweite Kreuzigung

Titel: Die zweite Kreuzigung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Heiligen.
    »Folgen Sie mir an einen Ort, wo wir ungestört reden können.«
    Der Archimandrit führte sie aus der Kirche. Das Gebäude, das an ein französisches Schloss erinnerte, stand mitten auf einem Platz, der ganz von den äußeren Schutzmauern des Klosters umgeben war. Sie traten durch eine Tür in der Südmauer. Der Halbmond, der mildes Licht aussandte, sah aus, als sei er direkt über dem Kloster aufgehängt. Vater Iustin zog einen großen Schlüssel aus seiner Tasche. Er passte zu einem Schloss, das seit dem 17. Jahrhundert nie gewechselt worden war.
    Drinnen betätigte der Priester einen Schalter, und elektrische Lampen flammten auf.
    »Tut mir leid«, sagte er, »die Beleuchtung ist ein bisschen grell. Dies ist unser Beratungsraum. Putna ist eines der Hauptklöster des Landes, daher finden hier häufig Konferenzen statt. Nehmen Sie bitte dort drüben Platz.«
    Sie folgten ihm zu einem großen achteckigen Tisch und ließen sich rund herum nieder. Der Priester blickte Sarah sorgenvoll an.
    »Wenn wir hier fertig sind«, sagte er, »bekommen Sie im Refektorium etwas zu essen. Dort steht immer ein Tisch für Gäste bereit. Zunächst möchte ich Ihnen gern etwas mitteilen. Später können Sie mich fragen, was Sie wollen. Wenn andere Mönche dabei sind, dann schweigen Sie bitte über das, was ich Ihnen jetzt sage. Kein Wort darüber, das ist sehr wichtig.«
    »Sie sprechen ausgezeichnet Englisch«, sagte Ethan. »Wo haben Sie …?«
    »Von meiner Frau«, sagte er. »Sie stammte aus Canterbury. Wir haben viele Jahre in London gelebt.«
    Ethan blickte ihn verwundert an.
    »Sie waren in London?«
    Vater Iustin schüttelte lächelnd den Kopf.
    »Rumänien mag ja nicht gerade der Mittelpunkt der Zivilisation sein«, sagte er, »aber viele von uns sind weit gereist. Ich habe die rumänisch-orthodoxe Kirche St Dunstan-in-the-West in der Fleet Street betreut.«
    Er blickte Ethan an, als müsste der die Kirche kennen.
    »Tut mir leid«, sagte Ethan. »Ich … ich kenne London nicht so gut. Ich glaube nicht, …«
    »St Dunstan ist die merkwürdigste Kirche von ganz London. Eine Hälfte benutzten die Anglikaner, die andere die Rumänisch-Orthodoxen. Vorn steht ein anglikanischer Altar mit Heiligenbildern und rechts davon ein großer Ikonostas. Ein Ort mit einer ganz eigenen Aura. Ich erinnere mich sehr gern daran. Meine Frau war Engländerin, wie ich schon sagte. Sie hieß Jacqueline. Sie hat den größten Teil ihres Lebens mit mir in Rumänien verbracht. Als sie fünfzigwurde, wollte sie nach Hause zurück. Unser Metropolit hat mich freundlicherweise nach St Dunstan versetzt. Jetzt aber bin ich ein alter Mann und Witwer. Meine Frau ist in London begraben, und ich verbringe meine letzten Jahre hier in Putna, halte jeden Morgen und Abend Gottesdienste, bete um eine Vision, lausche auf die Stimme Gottes und warte darauf, mit der Seele meiner lieben Frau vereinigt zu werden. Doch nun sind Sie hier, Sie und Ihre Schwester. Sie besuchen mich an meinem letzten Zufluchtsort.«
    »Das klingt, als hätten Sie auf uns gewartet«, sagte Ethan. Er war leicht verwirrt von dem Kloster und dem alten Mann.
    »Ich warte in der Tat seit vielen Jahren auf Sie. Nicht auf Sie persönlich. Aber ich wusste, dass am Ende jemand zu mir kommen wird. Der mir etwas über Egon Aehrenthal berichtet.«
    »Woher wissen Sie …?«
    »Ilona hat es mir gesagt.«
    Die beugte sich nach vorn.
    »Ich habe mit dem Pfarrer in meiner Kirche gesprochen. Wie viele meiner Landsleute gehöre ich der Reformierten Kirche an. Mein Gemeindepfarrer kennt viele Orthodoxe, denn er ist sehr ökumenisch eingestellt. Ich habe ihm von den Reliquien erzählt. Er hat mir Vater Iustins Namen genannt und mich hierhergeschickt. Ich habe dem Vater dann die Sache erklärt, so gut ich konnte. Er hat mich angehört und gebeten, euch beide so rasch wie möglich hierher zu bringen. Nun ist es noch eher passiert, als wir alle dachten.«
    Jetzt wandte sich der Priester ihnen zu. Ethan fiel auf, dass seine Augenlider gerötet waren, als litte er an einer Lid- oder Bindehautentzündung.
    »Ethan«, sagte er, »für mich ist alles wichtig, was Sie mir sagen können. Ich werde Ihnen dann einiges mitteilen, das Sie wissen sollten. Ilona hat mir erzählt, Sie hätten einige Altertümer gesehen, die Egon Aehrenthal geraubt hat. Können Sie sie mir beschreiben?«
    Ethan begann, zögernd zunächst, seinen Bericht. Zuerst erzählte er, wie sie die Leiche seines Großvaters entdeckt hatten, und

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