Die zweite Nacht
verbergen, hielt ich meine Hand vor den Mund und schüttelte nur ungläubig den Kopf. Dann wandte ich vorsichtig ein: »Aber vielleicht ist das eine gute Methode gewesen. Immerhin bist du recht anständig geraten.«
»Helen«, warnte Frederik mich, »nimm das nicht auf die leichte Schulter. Mein Bruder ist eine Nummer für sich und dazu noch leicht paranoid. Du findest, dass das gerade unterhaltsam klingt, aber dir sollte bewusst sein, dass es das nicht ist. Bertram weiß inzwischen vermutlich alles über dich, hat deine Emails und SMS gelesen, deinen Kontostand überprüft und deine Online-Käufe nachverfolgt. Es tut mir leid.«
Ich dachte nach. »Meinst du? Ich finde mich eher uninteressant, deswegen stört mich der Gedanke irgendwie nicht.«
Ungläubig sah Frederik mich an. »Wie kann dich das nicht stören, wenn jemand so bei dir herumschnüffelt? Du bist doch sonst so verschlossen.«
»Ja, aber das ist anders. Mir ist ohnehin klar, dass sich alles, was ich im Internet mache, irgendwie zurückverfolgen lässt. Er wird wohl kaum mein Konto leer räumen, oder?«
»Ich wünschte, das könnte ich dir versprechen. Sei morgen einfach nett zu ihm, okay?«
Verächtlich kräuselten meine Lippen sich. »Bin ich jemals nicht nett?«
Statt einer Antwort stand Frederik auf, legte die Hände um mein Gesicht und küsste mich sanft. Erst dann sagte er mit funkelnden Augen: »Natürlich nicht.«
Erleichtert lehnte ich mich zurück. Mein Bruder würfelte gerade und ich war erstaunt, wie harmonisch der Abend bisher verlaufen war. Als Elena vorgeschlagen hatte, Silvester gemeinsam zu feiern, war ich natürlich zunächst skeptisch gewesen. Aber da Frederik ganz vernarrt in meine Familie zu sein schien, hatte er so lange genervt, bis ich schließlich nachgegeben hatte.
Wir hatten recht ausgiebig den Fondue-Topf glühen lassen und dann eine geradezu epische Runde Monopoly gestartet. Scheinbar war ich allerdings die Einzige, die das Spiel nicht absolut ernst nahm. Mo und mein Bruder spielten, als hinge ihr Leben davon ab und ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, dass die beiden ganz eigene Regeln dabei befolgten und Elena wollte sowieso immer gewinnen. Wenigstens Frederik und Stephan schienen halbwegs entspannt zu sein.
Um Mitternacht hatten wir die Runde unterbrochen und die obligatorische Flasche Sekt geköpft. Dabei waren so viele Umarmungen ausgetauscht worden, dass ich kurzzeitig den Überblick verloren hatte, wen ich bereits gedrückt hatte und wen nicht. Glücklicherweise störte es Frederik nicht, dass ausgerechnet er zwei Umarmungen bekam, während Daniel noch immer schmollte, weil ich ihn vergessen hatte.
Eigentlich war ich schon ziemlich müde, aber so wie es aussah, würde sich diese Runde Monopoly noch bis Mitte Februar hinziehen, denn keiner wollte aufgeben.
Ich schielte zu der Uhr über Mos Kopf und fragte mich, ob ich heute noch sehen würde, wie die Sonne aufging.
Plötzlich ertönte die Melodie von Britney Spears’ »Crazy« . Daniel grinste schief und kicherte wie ein kleines Mädchen. Mo sah ihn strafend an. »Hast du schon wieder meinen Klingelton geändert?«
Sie stand auf und fischte ihr Handy vom Wohnzimmertisch. »Frohes neues-« Weiter kam sie nicht, denn sie brach verwundert ab und reichte Daniel das Telefon. »Es ist Don und offenbar will er mit dir reden.« Verstimmt ließ sie sich auf ihren Stuhl fallen.
Daniel kam auch nicht viel weiter mit seinen Neujahrswünschen, bis er abbrach und mit gerunzelter Stirn lauschte. Schließlich stand er abrupt auf und verließ den Raum. Zwar war seine Stimme gedämpft zu hören, aber egal, wie sehr wir alle neugierig die Ohren spitzten, es war unmöglich zu verstehen, worum es ging. Doch die Geheimnistuerei machte mich neugierig und ich konnte Elena an der Nasenspitze ablesen, dass es ihr nicht anders ging.
Mo verzog den Mund, als Daniel zurückkehrte und ihr wortlos das Handy reichte. »Willst du uns nicht sagen, worum es geht?«
»Ich kann und darf nicht. Don hat mich zu Stillschweigen verpflichtet.« Während er Mo entschuldigend ansah, fügte er noch hinzu: »Immerhin ist er mein Freund.«
»Aber ich bin deine Freundin! Meine Rechte gehen ja wohl sehr viel weiter als die meines Bruders«, stellte Mo fest und erdolchte Daniel fast mit ihrem stechenden Blick. Elena hatte mittlerweile fasziniert ihr Kinn auf ihrer Hand abgestützt und beobachtete den Schlagabtausch. Ich ahnte schon, dass sie Mo in wenigen Augenblicken zu Hilfe kommen
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