Die zweite Todsuende
Menschenverstand erwarten. Der geht ihnen einfach ab. Denn wenn sie gesunden Menschenverstand hätten, wären sie Fernfahrer oder Schuhvertreter. Es ist schon ein verdammt hartes Brot, und die meisten gehen dabei elend zugrunde.»
«Ich frage nach dem Verbleib der frühen Arbeiten», erklärte Delaney, «weil sich in Maitlands Atelier keine Bilder fanden, als die Leiche entdeckt wurde.»
Lieutenant Bernard Wolfe war wie vom Donner gerührt. Er blickte ungläubig von Delaney zu Boone.
«Keine Bilder? Keine angefangenen Sachen? Keine halbfertigen Leinwände? Nichts auf der Staffelei? Keine Stapel von fertigen Gemälden? Nichts, was zum Trocknen dahing? Nichts von seinen Sachen an der Wand?»
«Ölbilder überhaupt nicht», antwortete Delaney geduldig. «Kein einziges.»
«Himmelherrgott!» entfuhr es Wolfe. «Das kann ich nicht glauben! Ich bin schon in Tausenden von Malerateliers gewesen, und jedes war vollgestopft mit Bildern in allen Stadien der Fertigstellung. Das einzige, was ich mir vorstellen kann, ist, daß da jemand gehörig abgestaubt hat. Vielleicht der, der ihn abgemurkst hat. Er hätte zumindest ein Bild da haben müssen. Er stand im Ruf, ein schneller Arbeiter zu sein. Aber gar nichts? Das stinkt.»
«Was wir gefunden haben, sind drei Kohlezeichnungen», sagte Sergeant Boone. «Geltman meint, es wären vermutlich Versuche, Maitland habe ein neues Modell ausprobiert.»
«Möglich.» Wolfe nickte. «So was ist durchaus üblich. Ein paar Skizzen von einem neuen Modell, um zu sehen, ob es ihm liegt.»
«Das ist auch so eine Sache», sagte Delaney. «Kennen Sie viele Modelle?»
«Na ja, ein paar schon.» Wolfe grinste. «Möchten Sie, daß ich mir die Skizzen mal daraufhin ansehe, ob ich das Modell kenne?»
«Damit würden Sie uns einen großen Gefallen tun.»
«Mit Vergnügen. Sie brauchen bloß Bescheid zu sagen, wann und wo. Ich bin selten im Büro, eigentlich dauernd unterwegs, aber Sie können ja eine Nachricht hinterlassen.»
Delaney nickte und ließ die Rechnung kommen. Er zahlte, dann gingen sie. Draußen auf dem Bürgersteig schüttelten sie dem Lieutenant die Hand und dankten ihm für seine Hilfe. Er tat das mit einer Handbewegung ab und dankte ihnen für das Mittagessen.
«Prüfen Sie mal gründlich, warum im Atelier keine Bilder waren», empfahl er zum Abschied.
Es war noch nicht Mitternacht, man hätte noch gemütlich plaudern, einen Happen essen können. Jedenfalls waren beide wach, im Augenblick ganz gesättigt, da schlug das Telefon auf dem Nachttisch an.
Er räusperte sich und nahm ab.
«Delaney.»
Es war Rebecca Hirsch, und sie überfiel ihn mit einem schrillen, fast betäubenden Wortschwall. Er bat sie, langsam und verständlich zu sprechen, doch war sie viel zu aufgeregt. Sie schluchzte und antwortete nicht auf seine Fragen. Er ließ sie ausreden und versuchte, sich ein Bild aus dem zu machen, was er hatte verstehen können.
Abner Boone hatte Rebecca vor einer Stunde angerufen, offensichtlich betrunken. Es sollte ein Abschied sein; er wollte sich mit seinem Dienstrevolver erschießen. Rebecca, schon im Bett, hatte sich hastig angezogen und war im Taxi hingefahren. Boone war derzeit immer noch schwer betrunken, hatte eine noch fast volle Flasche in der Hand und redete irre. Als sie versuchte, ihm die Whiskeyflasche wegzunehmen, hatte er sich im Badezimmer eingeschlossen. Er wollte nicht rauskommen und gab keine Antwort.
«Bleib da», sagte Delaney steinernen Gesichts. «Kommt er raus, versuch nicht, ihm die Flasche wegzunehmen. Rede ganz ruhig mit ihm. Und laß dich nicht anfassen. Ich bin gleich da. Sieh unterdessen nach, ob irgendwo noch eine Flasche versteckt ist. Oder ein zweiter Revolver. Ich komme, so schnell ich kann.»
Er legte auf und stieg aus dem Bett. Während er sich anzog, berichtete er Monica, was geschehen war. Ihr Gesicht wurde aschfahl.
«Du hattest also doch recht», sagte sie.
«Ich schicke Rebecca mit einem Taxi her. Gib auf sie acht. Ich werde die Nacht dort verbringen. Ich rufe dich an.»
«Edward, sieh dich vor», warnte sie.
Er nickte und schloß die Schublade mit seinem alten Handwerkszeug auf. Darin lagen seine Waffen samt Munition und Reinigungsgerät, eine Pistolentasche, zwei Schulterhalfter, Handschellen, eine Stahlkette, ein Satz Dietriche. Er nahm jedoch nur einen lederbezogenen, etwa 25 Zentimeter langen Schlagstock heraus. Der schaute zwar aus der Gesäßtasche, wurde aber von der Jacke verborgen. Sorgfältig verschloß er die
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