Die zweite Todsuende
Schublade wieder.
«Sieh dich vor, Edward», wiederholte sie.
«Komm mit runter und leg die Kette vor, wenn ich draußen bin. Mach nur für Rebecca auf. Gib ihr heißen Kaffee und vielleicht einen Brandy.»
«Sieh dich vor, Edward», warnte sie noch einmal.
Draußen blieb er stehen, bis er hörte, wie drinnen die Kette vorgelegt wurde. Dann überlegte er, wie er wohl am schnellsten hinkam, zu Fuß oder mit einem Taxi. Er entschied sich für ein Taxi, eilte zur First Avenue und wartete fast fünf Minuten. Dann trat er einem Taxi in die Fahrbahn, dessen Zeichen unbeleuchtet war. Es bremste im letzten Moment, und der wütende Fahrer lehnte sich heraus: «Können Sie nicht…» bellte er.
«Fünf Dollar, wenn Sie mich zur East 8 jth Street rüberfahren», sagte Delaney und wedelte mit der Banknote.
«Steigen Sie ein», sagte der Fahrer.
In dem Apartmenthaus, in dem Boone wohnte, saß der Nachtportier hinter der Theke. Als Delaney hereinkam, blickte er auf.
«Wohin?» fragte er.
«Zu Mr. Boone.»
«Sie heißen? Ich muß erst oben anrufen. Das ist hier Vorschrift.»
«Delaney.»
Der Portier griff nach dem Telefon und wählte eine dreistellige Nummer.
«Ein Mr. Delaney für Mr. Boone.»
Er legte auf und sah den Chief an.
«Eine Frau war am Apparat», sagte er argwöhnisch.
«Meine Tochter», erklärte Delaney kalt.
«Ich will keine Scherereien.»
«Ich auch nicht», antwortete Delaney. «Ich werde sie still und ohne jedes Aufsehen hier rausbringen, und Sie haben nichts gesehen.»
Die Hand des Portiers schloß sich um den hingehaltenen Zehn-Dollar-Schein.
«Jawohl, Sir.»
Als Delaney aus dem Aufzug stieg, wartete Rebecca händeringend im Korridor auf ihn. Sie machte keinen guten Eindruck: käseweiß im Gesicht, das Haar zerzaust und verklebt, die Pupillen geweitet und die Lippen zerbissen. Er kannte die Symptome.
«Schon gut, schon gut», sagte er leise und legte ihr begütigend den Arm auf die Schultern. «Ist ja schon gut!»
«Ich konnte nicht -» stotterte sie - «er wollte nicht… und ich konnte nicht…»
«Schon gut, schon gut», wiederholte er, zog sie in die Wohnung und schloß die Tür. «Ist er immer noch im Bad?»
Sie nickte benommen. Dann fing sie an zu zittern, ihr weicher Körper bebte. Er trat einen Schritt zurück, ließ sie aber nicht los, tätschelte ihre Schulter, streichelte ihre Arme, drückte ihre Hände.
«Schon gut, schon gut», fuhr er in seiner Litanei fort. «Ist ja schon gut, schon gut. Es kommt alles wieder in Ordnung.»
«Er kann nicht…» Sie würgte.
«Ist ja schon gut», tröstete er. «Natürlich. Jetzt setz dich mal hin. Nur für einen Augenblick. Lehn dich an mich. So ist's richtig. So ist's richtig. Und tief Luft holen, durchatmen! Und jetzt die Luft anhalten. Gut. Gut.»
Er saß eine Weile neben ihr, bis sie weniger krampfhaft atmete und das Zittern aufhörte. Er brachte ihr ein Glas Wasser aus der Küche. Hastig trank sie in großen Schlucken, und Wasser lief ihr übers Kinn. Durchs Schlafzimmer ging er hinüber an die Badezimmertür und legte das Ohr an die dünne Türfüllung. Er vernahm Gebrummel, ein paar unzusammenhängende Worte. Sanft drückte er die Klinke herunter; die Tür war immer noch verschlossen.
Er kehrte zu ihr zurück, setzte sich neben sie und nahm abermals ihre Hände.
«Rebecca?» fragte er. «Besser?»
Sie nickte.
«Gut, das ist gut. Du siehtst auch schon besser aus. Hast du noch eine Flasche gefunden?»
Heftig schüttelte sie den Kopf, und ihre Haare flogen.
«Eine Schußwaffe?»
Wieder das Kopfschütteln.
«Na gut. Ich brauche jetzt deine Hilfe. Glaubst du, du bist dazu imstande?»
«Was?» fragte sie. «Er wird doch nicht…»
«Wir müssen ihm den Whiskey wegnehmen», erklärte er geduldig und sah ihr dabei in die Augen. «Und den Revolver. Verstehst du?»
Sie nickte.
«Ich will versuchen, ihm die Flasche wegzunehmen. Ich werfe sie dir zu. Dann kommt der Revolver dran. Aber für die Flasche bist du verantwortlich, lauf damit weg, kipp sie ins Spülbecken oder sonstwohin. Hauptsache, sie wird leer. Traust du dir das zu, Rebecca?»
«Ich … ich glaube schon. Du tust ihm doch nichts an, oder?»
«Selbstverständlich nicht. Kümmere du dich um den Schnaps und achte nicht auf mich.»
«Einverstanden», flüsterte sie. «Bitte, tu ihm nicht weh, Edward. Es geht ihm schlecht.»
«Ich weiß», sagte er finster. «Und es wird ihm noch viel schlechter gehen.»
Die Hand unter ihrem Ellbogen führte er sie zur Badezimmertür
Weitere Kostenlose Bücher