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Die zweite Todsuende

Die zweite Todsuende

Titel: Die zweite Todsuende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Sanders
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sprechenden Frau unter die Nase halten und barsch fragen: «Hast du diese Frau schon mal gesehen?» Selbst wenn der Bartender sie erkenne, werde er bei einer solchen Annäherung zuschnappen wie eine Auster.
    Weit besser sei es, riet der Sergeant, hineinzuschlendern, ein Bier zu bestellen, genüßlich zu trinken und, wenn der Bartender gerade mal nichts zu tun habe, ganz lässig zu fragen: «Hat Mary sich in letzter Zeit hier blicken lassen?» Und wenn der Bartender zurückfragte: «Mary? Ich kenn keine Mary», solle Jason sagen: «Aber klar doch, Mann, die kommt doch dauernd her. Hier, ich hab da 'ne kleine Zeichnung von ihr.» Womöglich schnappe der Bartender trotzdem zu wie eine Auster, vielleicht aber sage er: «Ach, die. Die heißt doch nicht Mary. Die heißt Lucy.» Oder June oder Sue oder sonstwie.

    «Man muß verstehen, die Leute einzuwickeln», belehrte Boone den schwarzen Polizisten. «Ein guter Kriminalist kennt tausend Tricks und Schliche, um Leute dazu zu bringen, Dinge zu erzählen oder Dinge zu tun, die sie eigentlich nicht erzählen oder tun wollen. Du mußt die menschliche Natur studieren, mußt wissen, worauf die Leute reagieren. Ich hab immer gefunden, daß man mit Honig mehr Fliegen fängt als mit Essig, aber viele Kollegen sind da ganz anderer Ansicht und kehren gleich den Bullen raus. Du mußt eben rausfinden, was dir mehr liegt und womit du am meisten erreichst.»
    Jason sagte zu Juanita, Boones Art liege ihm mehr; es sei ihm unangenehm, Leute einzuschüchtern. Folglich schlenderte er Tag für Tag durch die Straßen der Lower East Side, lächelte breit und redete endlos mit Kneipenwirten und Ladenbesitzern. Manche mochten ahnen, daß er in Wirklichkeit Polizeibeamter war, er wurde aber nie direkt darauf angesprochen. Seine Verkleidung und sein Gehabe waren wohl doch überzeugend, denn einmal, am hellen Mittag auf der Norfolk Street, machte ein hübsches junges Pferdchen, eine Weiße, sich an ihn heran und gestand ihm, sie habe nichts dagegen, in seinem Stall zu arbeiten. Jason erzählte diese Geschichte seiner Frau, weil er meinte, sie würde lachen; sie lachte aber nicht.
    Er kam voran, wenn auch langsam. Eines Tages fragte er in einer schmierigen Spelunke in der Forsythe Street - ganz im Stil von Boone - die puertorikanische Bedienung beiläufig: «Na, hat sich Mary in letzter Zeit mal wieder blicken lassen?» Tatsächlich funktionierte es wie gewünscht: die Bedienung identifizierte die ältere Frau als eine «Mama Perez», Vorname unbekannt, die gelegentlich mit dem jungen Mädchen auf dem zweiten Bild hereinschaute. Dieses Mädchen galt als Mamas Nichte Dolores, Nachname unbekannt.
    Sergeant Boone ließ «Mama Perez» durch den Computer laufen - ohne Ergebnis. Allein im Telefonbuch von Manhattan gab es über 750 Anschlüsse auf den Namen Perez, und die wollte man erst unter die Lupe nehmen, wenn es wirklich nicht anders ging.
    Folglich drehte Jason T. Jason weiter seine täglichen Runden und wurde in der Gegend Orchard, Rivington und Delancey Street zu einer vertrauten Erscheinung. Jetzt konnte er immerhin schon fragen: «Hast du letzthin Mama Perez gesehen?» Im Westen dehnte er sein Revier bis zur Bowery aus und im Osten bis an den Roosevelt Drive. Manchmal arbeitete er nachts und in den frühen Morgenstunden und wagte sich in gefährliche Winkel vor. Doch wurde er nie überfallen - vielleicht wegen seiner Größe. Eines Nachts traf er unter der Williamsburg Bridge auf vier Schlägertypen und dachte schon, sie würden sich mit ihm anlegen. Dennoch ging er pfeifend wiegenden Schrittes weiter - wenn auch schwitzend -, und als er wieder in eine Gegend mit Straßenbeleuchtung kam, verkrümelten sie sich.
    Das schlimmste Erlebnis hatte er aber mit Sergeant Boone.
    Boone schloß sich Jason manchmal - gewöhnlich nachts - bei seinen Runden an, um ihm noch den einen oder anderen Trick beizubringen. Boone trug ausgelatschte Turnschuhe und alte Khaki-Jeans sowie eine verspeckte Nylonwindjacke. Er hatte keine Socken an, und an seinem Hemd fehlten ein paar Knöpfe. Kein Mensch sah sich nach ihm um.
    Jason bemerkte, daß der Sergeant zwar immer ein Bier bestellte, wenn sie zusammen in eine Kneipe gingen, es dann aber einfach stehen und schal werden ließ.
    Als es das erste Mal passierte, fragte Jason: «Willst du das nicht?» Boone lächelte mit verkniffenem Mund und sagte: «Heute abend nicht.» Beim dritten- oder viertenmal faßte Jason, der immer gewaltigen Durst hatte, sich ein Herz und fragte:

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