Die zweite Todsuende
unsere Fälle. Ungelöste Fälle und solche, die geknackt wurden und wie. Berufstratsch eben, Belle, weiter ist es nichts, und das immerzu und überall, in Kneipen, bei Fortbildungskursen, auch zu Hause. Immer wird von der Arbeit geredet. Und erst auf Kongressen! Na, das können Sie sich nicht ausmalen. Ich erinnere mich an einen solchen Kongreß in Atlantic City. Abends, wenn das offizielle Programm absolviert war, saß man zusammen und redete, redete und redete endlos über Fälle. Darüber, wie man den Verbrechern wenigstens um Zentimeter voraus bleibt. Da war nun ein Kollege aus Texas, aus einer mittelgroßen Stadt, wenn ich mich recht erinnere, und der kannte einen besonders hübschen Fall. Nennen wir den Kollegen mal Mike. Mike hatte mit einem Dealer zu tun, der Schulkindern Rauschgift lieferte. Das bekam einigen schlecht, sie gingen schlichtweg ein daran, und Mike wußte genau, wer ihnen das Zeug verschafft hatte. Bloß beweisen konnte er ihm nichts. Was macht er? Er beschafft sich einen kleinen Umschlag aus Glassin und tut Koks rein. Sie haben sicher schon gehört, daß das bei Razzien beschlagnahmte Rauschgift nicht immer vollständig abgeliefert wird? Man kommt schon dran als Polizist.»
«Das hat er dann wohl in der Wohnung des Dealers versteckt und dort zufällig gefunden?» fragte Belle, nun wirklich gespannt.
«O nein. Unser Mike hatte einen noch viel besseren Einfall. Er wartete, bis der Dealer heimkam, dann entlud er seinen Revolver und steckte ihn locker ins Halfter, ohne es mit dem Riemen zu sichern. Zwei Mann hatte er zur Unterstützung dabei, draußen im Treppenhaus. Mike dringt gewaltsam in die Wohnung des Dealers ein und der Bursche schreit denn auch gleich los: ‹Wo ist der Hausdurchsuchungsbefehl?› - ‹Hier!› brüllt Mike zurück und wedelt ihm mit einem Fetzen Papier vor der Nase rum. Sie glauben nicht, wie leicht auch die raffiniertesten Gauner mit solchen Tricks zu täuschen sind. Mike also stößt ihn ein bißchen rum, stellt die Bude auf den Kopf und findet selbstverständlich den Koks. Und dabei richtet er es so ein, daß dem Burschen nicht entgehen kann, daß sein Revolver ihm praktisch aus dem Halfter fällt, so locker sitzt der. Wir haben sehr gelacht, als er beschrieb, wie er den Kerl immer wieder mit der Hüfte angestoßen hat, bloß wollte der den Köder nicht schlucken. Als Mike dann den Koks fand und ihm sagte, das brächte ihm gute zwanzig Jährchen ein, hat er allerdings zugeschnappt. Er nahm Mike die Kanone weg und sagte, ihn brächten sie nicht in den Knast, ihn nicht. Und zur Tür raus wie der Blitz, die Kanone in der Hand, und die Herren auf der Treppe hatten darauf nur gewartet. Sie sahen einen Verdächtigen mit schußbereiter Waffe und was sollten sie da machen? Abgedrückt haben sie. Und Mikes Revolver geladen, bevor sie Meldung machten. Das also war das glückliche Ende.»
Sie schaute ihn neugierig an.
«Wozu erzählen Sie mir das?»
«Weil», sagte er versonnen, «ich Ihnen klarmachen möchte, daß Ihre hochgescheiten Freunde nicht alles wissen. Glauben Sie mir, Belle, falls Sie je wirklich in Schwierigkeiten geraten, lassen alle diese feinen Freunde Sie fallen wie eine heiße Kartoffel. Die meisten sind gewiß verheiratet - stimmt's? Haben wichtige Posten, müssen an ihren guten Ruf denken. Und Sie glauben doch nicht im Ernst, daß die Ihretwegen ein Risiko eingehen, falls es mal nötig würde? Sie rufen bei denen an, und die Herren sind in einer Konferenz, verreist, machen Urlaub in Mexiko. Hören Sie auf mich, Belle, setzen Sie nicht auf Ihre Freunde, falls Sie in echte Schwulitäten kommen.»
«Echte Schwulitäten? Warum drohen Sie mir immer damit, daß ich ernstlich in die Klemme kommen könnte? Was könnte das schon sein?»
«Na … sagen wir mal, ich rufe beim Rauschgiftdezernat an, sobald ich hier weggehe und melde, ein Spitzel hat mir gesagt, Sie hätten Koks in der Wohnung. Dann haben Sie gleich darauf die Narks hier, und die stellen alles auf den Kopf.»
«Na und?» lachte sie. «Heroin rühre ich nie an. Man würde nichts finden.»
«O doch. Unter dem Polster, auf dem Sie gerade sitzen», widersprach Delaney sanft.
Sie stierte ihn anfangs verständnislos an, wurde sodann leichenblaß und wirkte plötzlich uralt. Sie sprang auf, riß das Polster weg und erblickte den durchsichtigen kleinen Umschlag mit dem weißen Inhalt. Sie betrachtete ihn, schaute Delaney an und zischte: «Sie Lump! Sie elender Lump!»
«Ach, Belle», lachte er leise.
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