Die zweite Todsuende
Sie streichen. Das kommt nicht hin. Die Angestellten von Geltman und seine Kunden haben ihn ja schon um halb zwei wieder in der Galerie gesehen. Folglich kann er's nicht getan haben.»
«Dieser Schlawiner!» sagte Boone bitter, und als Delaney ihn anstarrte, errötete der Sergeant.
«Verzeihung, Sir», sagte er. «Die Büros von Simon & Brewster liegen in der Mitte eines langen Korridors. Eine holzgetäfelte Tür führt ins Vorzimmer, wo Susan Hemleys Schreibtisch steht. Sie sagte, sie habe sich an diesem Freitag ein paar Minuten mit Geltman unterhalten, und dann sei er in Simons Arbeitszimmer verschwunden. Dort ist sie auch hineingegangen, um die Verabredung für Sie festzumachen. Es kann aber sein, daß auch vom Korridor eine Tür direkt in Simons Büro führt, und ich Trottel habe nicht nachgesehen.»
Delaney plinkerte zweimal und lächelte dann.
«Das wäre nichts Ungewöhnliches. Anwälte verschwinden gern ungesehen, wenn Leute in ihrem Vorzimmer sind, die sie nicht empfangen wollen. Boten mit Zustellungsurkunden zum Beispiel oder Polizeibeamte mit Haftbefehl.»
«Richtig!» sagte Boone. «Falls Simons Arbeitszimmer einen Separateingang auf den Gang hat, könnte Geltman um zehn eingetroffen und gleich wieder weggegangen sein. Dann hätte er reichlich Zeit gehabt, runterzufahren zur Mott Street, Maitland ins Jenseits zu befördern und entweder in Simons Arbeitszimmer zurückzukehren oder direkt in seine Galerie zu fahren. Tut mir leid, daß ich das mit der Tür nicht nachgeprüft habe, Chief.»
«Das macht ja nichts. Wir können's morgen gleich nachholen. Die Hemley hat gesagt, Geltman und Simon seien alte Freunde?»
«Ja. Sie spielen beide Handball.»
«Reizend. Daß sie zusammen Ball spielen, meine ich. Na ja … wir werden sehen. Was für eine Frau ist diese Hemley eigentlich? Hübsch?»
«Attraktiv schon. Aber nicht schön. Sehr dünn. Und auch nicht mehr allzu jung. Klein, blond, Kraushaar. Weder Busen noch Po. Dafür gute Beine. Nicht übermäßig gescheit.»
«Sexy?»
Boone überlegte einen Augenblick.
«Ich finde, ja. Sie hat irgendwas. Als ob sie, wenn sie sich erst mal dazu durchringt, nicht mehr zu halten wäre.»
«Falls Geltman recht damit hat, daß Alma Maitland eine verkappte Lesbe ist - könnte was zwischen ihnen sein?»
Abermals dachte Boone nach, dann sagte er seufzend: «Möglich wär's schon. Jedenfalls nicht ausgeschlossen. Aber ich kann's einfach nicht sagen. Welcher Mann kann das schon!»
«Ich bestimmt nicht», knurrte Delaney. «Aber auf Sie ist sie angesprungen? Ich meine, wie eine Frau auf einen Mann? Hat sie kokettiert? Es darauf angelegt, sich ein zweites Mal mit Ihnen zu treffen?»
«Nein», sagte Boone gedehnt. «Eigentlich nicht. Sie war höflich und freundlich, aber darauf angelegt hat sie es nicht. Vielleicht habe ich es nicht geschafft, sie scharf zu machen. Ich kann Ihnen bloß sagen, was für ein Gefühl ich hatte: wenn ich sie zu einer Orgie aufgefordert hätte, würde die gelacht und ‹warum nicht› gesagt haben!»
«Wir sehen sie ja morgen früh, und da verschaffe ich mir dann selber einen Eindruck. Jetzt will ich Ihnen von meiner kleinen Sitzung mit Ted und Alma Maitland berichten.»
Er erzählte Boone alles, was sich während der Befragung der beiden zugetragen hatte. Der Sergeant hörte aufmerksam zu, machte sich gelegentlich Notizen, unterbrach Delaney jedoch nicht. Als dieser fertig war, sah Boone ganz aufgeregt von seinem Notizbuch auf.
«Donnerwetter!» sagte er. «Das ist ja hochinteressant! Und alles neu. Davon, daß Ted gewalttätig ist, hat ja nichts in den Berichten gestanden, oder?»
«Nein. Kein Wort.»
«Ob es uns gelingt, den Psychiater zum Sprechen zu bewegen?»
«Das wohl kaum. Er wird zuschnappen wie eine Auster. Ärztliche Schweigepflicht!»
«Ted hat also auf dem Washington Square allein zu Mittag gegessen. Behauptet er zumindest. Sie sind sich darüber im klaren, was das bedeutet, Chief? Alma behauptet, sie sei allein zum Einkaufen gegangen. Sarazen und Dukker behaupten, sie seien zusammen gewesen. Folglich könnte jeder der Täter sein. Sogar die Mutter und die Schwester hätten von Rockland runterfahren können und reichlich Zeit gehabt, sich dieses kleine Privatvergnügen zu leisten. Saul Geltmans windiges Alibi hängt ganz von J. Julian Simon ab, seinem guten Sportsfreund. Zu schön! Sie sind alle schuldig. Was machen wir jetzt?»
«Was wir jetzt machen», sagte Delaney, «ist folgendes: wir stellen eine Zeittafel auf.
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