Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher 01 - Der lohfarbene Mann
nachdenkst, wirst du merken, dass es auf das Gleiche hinausläuft.«
»Nicht für mich.«
»Nun, eine Zeitlang war es dir gleich. Bis Harm glaubte, es zerstören zu müssen. Du hast deine sturen Moralvorstellungen einem weiteren jungen Mann aufgepfropft. Ich hoffe, du bist stolz darauf, noch einen spießigen, selbstgerechten Besserwisser herangezogen zu haben.«
Ihre Worte trafen mich wie Ohrfeigen, während sie zornig im Zimmer herumrumorte und ihre Sachen zusammensuchte. Endlich drehte ich mich zu ihr herum. Ihr Gesicht war hochrot, die Haare vom Schlaf zerzaust. Sie hatte nur mein Hemd an, dessen Saum ihr knapp bis zu den Oberschenkeln reichte. Sie hielt inne, als sie merkte, dass ich sie anschaute und stellte sich herausfordernd meinem Blick, hoch aufgerichtet, wie um mir vor Augen zu führen, was ich im Begriff war zu verschmähen. »Wem tut es weh?«, fragte sie.
»Deinem Gemahl, wenn er es erfahren sollte«, antwortete ich ruhig. »Harm hat mir zu verstehen gegeben, dass er von Adel ist. Einem solchen Mann können Gerüchte mehr schaden als ein Dolch. Denk an seine Ehre, die Ehre seines Hauses. Lass ihn nicht dastehen wie einen alten Narren, der seine ungebärdige junge Frau nicht zügeln kann …«
»Ein alter Narr?« Sie machte ein verdutztes Gesicht. »Wieso … Hat Harm dir erzählt, er wäre alt?«
Sie hatte mich aus dem Konzept gebracht. »Er sagte, er wäre sehr distinguiert …«
»Distinguiert schon, aber doch nicht alt. Ganz im Gegenteil.« Sie lächelte seltsam, halb stolz, halb verlegen. »Fitz, er ist vierundzwanzig. Ein ausgezeichneter Tänzer und stark wie ein junger Bulle. Was hast du geglaubt, ich hätte mich dazu hergegeben, einem alten Mann das Bett zu wärmen?«
Genau das. »Ich dachte ….«
Sie hob trotzig das Kinn, als fühlte sie sich von mir abgewertet. »Er ist hübsch, und er ist charmant, und er könnte unter vielen Frauen wählen. Er wählte mich. Und auf meine Art liebe ich ihn aufrichtig. Bei ihm fühle ich mich jung und begehrenswert und als wäre ich wahrer Leidenschaft fähig.«
»Und wie hast du dich bei mir gefühlt?« Die Worte waren heraus, bevor der Verstand sie einholte. Ich wusste, es war dumme Selbstquälerei, aber ich konnte nicht an mich halten.
Sie musste überlegen. »Geborgen«, meinte sie schließlich, ohne daran zu denken, ob sie mich mit ihrer Offenheit vielleicht verletzte. »Akzeptiert und geschätzt.« Ein Lächeln trat auf ihr Gesicht, es versetzte mir einen Stich. »Großzügig, weil ich dir gebe, was niemand dir sonst geben würde. Welterfahren und kühn. Wie ein bunter Singvogel, der einen Zaunkönig besucht.«
»Das bist du gewesen.« Ich wandte den Blick von ihr ab zum Fenster. »Aber das ist aus und vorbei. In deinen Augen mag mein Dasein armselig sein, aber es gehört mir. Ich stehle nicht die Brosamen von eines anderen Mannes Tisch. Ein Rest von Stolz ist mir schon noch geblieben.«
»Den Stolz kannst du dir nicht leisten«, entgegnete sie brutal. Sie strich sich das Haar aus dem Gesicht. »Schau dich um, Fitz. Ein Dutzend Jahre auf dich allein gestellt, und was hast du vorzuweisen? Eine Hütte im Wald und eine Handvoll Hühner. Was hast du an Glanz oder Freude? Nur mich. Vielleicht sind es nur hie und da ein, zwei Tage aus meinem Leben, aber ich bin die einzige wirkliche Person in deinem Eremitendasein.« Ihre Stimme bekam einen härteren Klang. »Brosamen von eines anderen Mannes Tisch sind besser als gar nichts. Du brauchst mich.«
»Harm. Nachtauge«, hielt ich ihr entgegen.
Sie winkte ab. »Ein Waisenjunge, den ich dir gebracht habe, und ein räudiger Wolf.«
Dass sie diese beiden dermaßen verächtlich abtat, kränkte mich nicht nur, es zwang mich zu erkennen, wie wenig wir tatsächlich gemein hatten. Ich nehme an, wenn wir zusammengelebt hätten, tagein, tagaus, wären Unstimmigkeiten dieser Art längst zutage getreten, aber unsere kurzen gemeinsamen Zwischenspiele hatten wir nicht mit philosophischen Diskussionen oder auch nur praktischen Erwägungen vertändelt. Wann es ihr beliebte, waren wir zusammengekommen, um mein Bett und meinen Tisch zu teilen. Sie hatte geschlafen und gesungen und mir bei meinen Verrichtungen in einem Leben zugesehen, welches nicht das ihre war. Die kleineren Missverständnisse, die sich ergaben, gerieten zwischen einem Besuch und dem nächsten in Vergessenheit. Sie hatte mir Harm gebracht, als wäre er ein streunendes Kätzchen und nie darüber nachgedacht, wie unser Verhältnis sich im Lauf der
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