Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher 01 - Der lohfarbene Mann
›Schmeichelei‹ .
MERIBUCKS HERBARIUM
Wie Chade prophezeit hatte, verschlief ich nicht nur den Nachmittag, sondern auch noch den frühen Abend. Ich erwachte in der Schwärze meiner fensterlosen Kammer, allein mit der Leere und Stille in meinem Herzen, und auf einmal packte mich die Angst, ich wäre gestorben. Ich sprang aus dem Bett, tastete mich blind zur Tür, riss sie auf und warf mich hindurch. Licht und Luft prallten mir entgegen. Fürst Leuenfarb, tadellos gekleidet und frisiert, saß an seinem Pult. Bei meinem explosiven Erscheinen hob er milde erstaunt den Kopf. »Ah, endlich erwacht«, bemerkte er trocken. »Wein? Gebäck?« Er wies auf einen Tisch und Polsterstühle vor dem Kamin.
Augenreibend ging ich hin und schaute, was es gab. Duftende Pasteten und hübsch garnierte Häppchen luden ein, sich zu bedienen. Ich ließ mich auf den nächsten Stuhl fallen. Meine Zunge fühlte sich pelzig an, meine Augen waren verklebt. »Ich habe keine Ahnung, woraus Chade seinen Tee zusammenbraut, aber ich glaube nicht, dass ich ihn noch einmal versuchen möchte.«
»Ich meinesteils habe keine Ahnung, wovon die Rede ist, aber was macht’s.« Er erhob sich, trat an den Tisch, schenkte Wein ein und musterte mich dann missbilligend von oben bis unten. Er schüttelte den Kopf. »Er ist ein hoffnungsloser Fall, Dachsenbless. Schau Er sich nur an. Den ganzen lichten Tag verschlafen und dann ungekämmt, in einem schäbigen Hausmantel zum Vorschein kommen. Einen schlechteren Diener hat noch kein Edelmann gehabt.« Er nahm auf dem zweiten Stuhl Platz.
Ich wusste nichts darauf zu sagen und nippte dankbar an meinem Weinglas. Die Speisen, so verlockend sie aussehen und duften mochten, konnten mich nicht reizen. »Wie war dein Abend? Hast du ein Tänzchen mit der Jagdmeisterin Laurel gewagt?«
Er hob eine Augenbraue, wie verwirrt und verdutzt ob meiner Frage. Von einer Sekunde zur anderen, mit dem schalkhaften Lächeln, das seinen Mund umspielte, war er wieder mein alter Freund, der Narr. »Ach Fitz, mittlerweile solltest du gelernt haben, dass mein ganzes Leben ein Tanz ist. Und mit jedem Partner geht es in einem anderen Schritt und Takt.« Dann wechselte er geschickt wie immer das Thema und fragte: »Und dir geht es gut heute Abend?«
Ich verstand, was er meinte. »So gut, wie man erwarten kann.«
»Hm. Ausgezeichnet. Dann wirst du in den Ort hinuntergehen?«
Er wusste Bescheid, noch bevor ich selbst mir über meine Wünsche klar wurde. »Ich würde gern nach Harm sehen und mir berichten lassen, wie es mit seiner Lehre geht. Außer Ihr bedürft Eures Dieners Dachsenbless.«
Er hielt den Blick auf mein Gesicht gerichtet, als wartete er darauf, dass ich noch etwas hinzufügte. Dann sagte er: »Geh in die Stadt. Ich halte es für eine ausgezeichnete Idee. Selbstverständlich sind für heute Nacht weitere Lustbarkeiten vorgesehen, aber ich werde es mir angelegen sein lassen, meine Vorbereitungen ohne Hilfe zu bewerkstelligen. Du wiederum solltest es dir angelegen sein lassen, dich etwas artiger herzurichten, bevor du meine Gemächer verlässt. Fürst Leuenfarbs Reputation hat in jüngster Zeit genug gelitten, ohne dass man ihm überdies nachsagen muss, sein Gesinde sähe aus wie von Motten zerfressen.«
Ich schnaubte. »Ganz wie Euer Gnaden wünschen.« Ich erhob mich schwerfällig, mein Körper hatte seine Schmerzen und Schwächen wiederentdeckt. Der Narr schmiegte sich tiefer in den Sessel und streckte seine langen Beine dem Feuer entgegen. An der Tür zu meiner Kammer holte seine Stimme mich ein.
»Fitz, du weißt, dass ich dich liebe, nicht wahr?«
Ich blieb stehen wie angewurzelt.
»Es würde mir Kummer bereiten, dich töten zu müssen«, fuhr er fort. Ich erkannte seine meisterhafte Nachahmung meiner eigenen Stimme und Redeweise. Verblüfft wandte ich den Kopf und sah ihn an. Er richtete sich auf und schaute mich über den oberen Rand der Sessellehne hinweg mit einem gequälten Lächeln an. »Versuch nie wieder, meine Kleidung wegzuräumen«, sagte er mahnend. »Veruleanische Seide wird auf einem Bügel hängend aufbewahrt, nicht zusammengeknüllt in einem Kasten.«
Ich neigte demütig den Kopf. »Es wird nicht wieder vorkommen.«
Er setzte sich wieder bequem in die Polster und griff nach seinem Weinglas. »Gute Nacht, Fitz«, verabschiedete er mich ohne weiteren Kommentar.
In meiner Kammer kramte ich einen meiner alten Kittel und eine Hose hervor. Ich zog mich an und blickte stirnrunzelnd an mir hinunter. Die
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