Die zwoelf Gebote
sein ganzes Leben. Als er eines Abends wieder nach Hause kam, waren die Spediteure gerade dabei, Möbel in das Apartment nebenan zu tragen. Diese Wohnung hatte schon monatelang leergestanden, und Donald fragte sich, wer denn da wohl einzog. Er fand es bald heraus.
Als er am nächsten Morgen zur Arbeit ging, erhaschte er einen ersten Blick auf seine neuen Nachbarn. Die Frau war sehr elegant. Sie war klein und dunkelhaarig und von schöner Gestalt. Ihr Mann aber war groß und sah böse aus. Gleich beim ersten Anblick fiel Donald der Vergleich von der Schönen und dem Untier ein. Er nickte ihnen zu.
Die Frau lächelte freundlich, aber ihr Mann brummte nur. Donald sah ihnen nach, wie sie nach oben in ihre neue Wohnung gingen. Er fragte sich, was das wohl für Nachbarn sein würden. Er fand es bald heraus.
Mitten in der Nacht erwachte Donald durch Lärm und Geschrei in der Wohnung nebenan. Die Wände waren so dünn, daß er alles hören konnte, was dort gesprochen wurde.
Der Mann schrie die Frau an. „Sag du mir nicht, was ich zu tun habe! Wenn ich die ganze Nacht ausbleiben will, dann bleibe ich die ganze Nacht aus! Keine Frau schreibt mir mein Leben vor!"
„Ich will dir doch nicht dein Leben vorschreiben", hörte er die Frau antworten. „Aber du bist bei anderen Frauen und das -" „- geht dich gar nichts an!" schrie der Mann zurück. „Wenn diese Nörgelei nicht aufhört, dann passiert etwas, das sage ich dir!"
Zu seinem Entsetzen hörte Donald dazu gleich anschließend
das Geräusch von Ohrfeigen und das Weinen der Frau.
„Schlag mich bitte nicht", flehte sie.
„Dann halte den Mund!"
Daraufhin wurde es still, aber Donald konnte nicht mehr einschlafen. Er lag die ganze Nacht wach und sorgte sich um die schöne Frau in der Wohnung nebenan mit ihrem brutalen Ehemann.
Am nächsten Morgen sah er die Frau, als er aus der Wohnung kam, wieder. Sie war ebenfalls auf dem Weg zur Arbeit. Sie hatte ein blaues Auge und ein verschwollenes Gesicht. „Guten Morgen", sagte Donald.
Sie sah verlegen aus, erwiderte den Gruß aber. „Guten Morgen."
Donald war versucht, ihr zu sagen, daß er vergangene Nacht alles gehört hatte, wollte sie aber doch lieber nicht weiter in peinliche Verlegenheit bringen. Er dachte daran, die Sache bei der Polizei anzuzeigen. Aber schließlich ging es ihn nichts an. Er hoffte, daß es wenigstens nicht wieder vorkäme.
Aber das war eine sehr falsche Hoffnung.
Am selben Abend ging es wieder los, als er sich gerade zum Schlafengehen vorbereitete.
„Wahrscheinlich", hörte er den Mann in der Nachbarwohnung hinter den dünnen Wänden wieder laut schimpfen, „treibst du dich mit einem der Ärzte im Krankenhaus herum, was?" „Das ist nicht wahr", antwortete die Frau. „Nur weil du untreu bist, heißt das noch lange nicht, daß ich es auch bin." „Fang ja nicht damit wieder an, Frau", schrie der Mann, „oder du machst mit meinem Ledergürtel Bekanntschaft." Donald hatte Mühe, seine Empörung zu bezähmen. Wie konnte eine Frau wie diese, wunderte er sich, nur so einen Mann heiraten? Er horchte weiter auf die Stimmen.
„Du bist betrunken", sagte die Frau. „Hör doch bitte zu trinken auf."
„Wer bist du denn, daß du somit mir redest?"
Dann hörte Donald, wie Geschirr an die Wand geworfen wurde.
„Bitte tu das nicht", sagte die Frau. „Das ist unser bestes Geschirr."
„Alles hier gehört mir", sagte der Mann, „und deshalb kann ich damit machen, was ich will!"
Donald hörte wieder das Geräusch einer Ohrfeige. „Du tust mir weh!"
„Gut! Und wenn du nicht mit dieser Herumnörgelei an mir aufhörst, werde ich dir erst mal richtig wehtun! Hast du verstanden?"
Donald hörte die Frau schluchzen. Er war so aufgebracht, daß er diesen Mann da drüben am liebsten umgebracht hätte. Er wußte zwar, daß ihn das alles nichts anging, aber er fand es einfach unerträglich, wie eine so schöne und sanfte Frau derart schlecht behandelt wurde.
Am nächsten Morgen, als er aus der Wohnung trat, begegnete
er seiner Nachbarin wieder. Sie machte den Eindruck, als hätte
sie wenig oder gar nicht geschlafen.
„Guten Morgen", sagte Donald.
„Guten Morgen."
Sie hat so ein sanftes, hübsches Lächeln, dachte Donald. „Entschuldigen Sie", sagte er, „es geht mich natürlich nichts an, aber ist bei Ihnen alles in Ordnung?"
Sie sah sich nervös um. „Ja, ja", sagte sie dann, „es ist alles in
Ordnung."
Sie war offensichtlich sehr verängstigt.
„Wenn ich irgend etwas für Sie tun kann
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