Die zwoelf Gebote
..." sagte Donald. Sie legte ihm die Hand auf den Arm. „Bitte", sagte sie, „tun Sie nichts. Wenn mein Mann nur wüßte, daß ich mit Ihnen rede, würde er mich schon umbringen."
„Warum lassen Sie sich so von ihm behandeln?" fragte Donald.
„Er war nicht so, als ich ihn heiratete", sagte sie. „Er hat sich so verändert, und ich weiß nicht, was ich tun soll."
„Sie können sich doch trennen", sagte Donald.
Aber sie meinte kopfschüttelnd: „Er würde mich überall finden. Er weiß, wo ich arbeite. Er würde kommen und mich töten."
Donald wußte nicht mehr recht, was er noch sagen sollte.
„Sollten Sie je Hilfe brauchen", sagte er schließlich, „denken
Sie an mich."
Sie lächelte. „Ich danke Ihnen."
Sie sahen einander in die Augen und merkten beide, daß sie sich zueinander hingezogen fühlten. Es war das erstemal, daß Donald eine wirkliche Empfindung für eine Frau verspürte. Dies ist eine Frau, die ich sofort heiraten würde, dachte er. „Ich muß jetzt gehen", sagte die Frau. „Auf Wiedersehen." „Auf Wiedersehen." Donald stand da, sah ihr nach und überlegte, was er wohl für sie tun könne. Aber die Antwort war nur: Gar nichts.
Mit der Zeit wurde es immer schlimmer. Die Wände waren so hellhörig, daß Donald jedes Wort verstand, das in der Nachbarwohnung gesprochen wurde. Der Mann kam ständig betrunken und zornig nach Hause, und die Frau versuchte ihn zu beruhigen.
Dann waren die Geräusche von Ohrfeigen zu hören und wie sie sagte: „Bitte, schlag mich nicht."
Und daraufhin wieder Geräusche von Schlägen.
Wenn ich nur etwas tun könnte, dachte Donald.
Eines Samstag morgens, als er seine Wohnung verließ, traf er wieder einmal mit seiner Nachbarin zusammen.
„Guten Morgen", sagte er. „Arbeiten Sie auch samstags?"
„Nein, ich gehe nur irgendwohin frühstücken. Mein Mann
schläft noch."
„Darf ich Sie begleiten?"
Sie zögerte.
Er wußte, was sie dachte. „Keine Angst", sagte er. „Ihr Mann
erfährt es nicht. Und außerdem, was ist schon dabei, wenn man
zusammen frühstückt?"
Sie lächelte. „Na gut."
Sie gingen zu einem kleinen Cafe in der Nähe.
„Ich freue mich, daß Sie meine Nachbarin geworden sind", sagte Donald.
Sie lächelte. „Es ist eine hübsche Wohnung." Aber sie wußte natürlich, was Donald meinte. Er freute sich, daß sie in die Wohnung neben der seinen eingezogen war, weil sie sich dadurch kennengelernt hatten.
„Was machen Sie beruflich?" fragte Donald.
„Ich bin Krankenschwester. Ich arbeite in einer Klinik." „Wie sind Sie ausgerechnet Krankenschwester geworden?" Sie lächelte wieder. „Schon als kleines Mädchen wollte ich mich um andere Leute kümmern. Mein Vater war die meiste Zeit sehr krank, und als meine Mutter starb, pflegte ich ihn. Ich hatte auch eine Schwester, der es nicht gut ging, und auch für die sorgte ich." Sie fügte verlegen hinzu: „Dies zu tun, gefällt mir."
Donald dachte: Wie gern hätte ich es, wenn jemand wie du für mich sorgte. „Wie lange sind Sie schon verheiratet?"
„Zwei Jahre", sagte sie und zog die Stirn in Falten.
„Wie haben Sie Ihren Mann eigentlich kennengelernt ?" „Als Patient in meinem Krankenhaus", erzählte sie. „Er hatte nach einer Schlägerei einige gebrochene Rippen. Ich pflegte ihn, und als er wieder gesund war, machte er mir einen Heiratsantrag." Sie sagte: „Ich weiß schon, was Sie jetzt denken. Aber als ich ihn heiratete, war er nicht so wie jetzt. Da war er noch freundlich und sanft und gutmütig. Ich gebe mir selbst die Schuld an seiner Veränderung."
„Aber ich bitte Sie", sagte Donald. „Sie können doch nicht verantwortlich für das sein, was er tut. Man ist nur für sich selbst verantwortlich."
„Das würde ich ja gerne glauben", antwortete sie. „Aber er gibt mir solche Schuldgefühle."
„Das dürfen Sie einfach nicht zulassen", sagte Donald. Die Bedienung kam, und sie bestellten ihr Frühstück. Donald sah, daß die Frau Mühe hatte, zu essen, weil ihr ganzes Gesicht verschwollen war. In seinem ganzen Leben hatte ihm noch niemand so leid getan wie sie.
„Wo stammen Sie her?" fragte er. „Aus Chicago", sagte sie. „Ich auch!" sagte Donald. „Von der East Side."
„Da bin ich ebenfalls geboren und aufgewachsen."
„Was hat Ihnen in Chicago besonders gefallen?"
„Ich bin gern in die Oper und ins Theater gegangen." „Ich auch!" sagte Donald wieder.
Es war ganz erstaunlich, wieviele Gemeinsamkeiten sie entdeckten. Sie redeten weiter über Chicago und die
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