Die Zypressen von Cordoba
sorgfältige
Beobachtung.«
»Zweifellos unter anderem durch Beobachtung der Pflanzen, die
wir aus Afrika geholt haben?«
»Unter anderem«, bestätigte Hai.
»Aber das hindert Euch nicht daran, mein Hofarzt zu werden.«
Während sich das fein gesponnene Netz des Kalifen um ihn
zusammenzog, machte sich Hai bittere Vorwürfe, daß er allen Bemühungen
seines Vaters getrotzt hatte, ihn in die Kunst der geschickten
Verhandlung und Einflußnahme einzuweihen, die er so meisterlich
beherrscht hatte. Kein getreuer Untertan, wieviel weniger ein Jude,
durfte es wagen, dem Befehl des Kalifen, am Hofe zu dienen, nicht Folge
zu leisten – es sei denn, er war geschickt genug, ihn vom
Gegenteil zu überzeugen.
»Ich bin noch nicht erfahren genug, um das Vertrauen zu
verdienen, das Ihr in mich setzt«, wiederholte Hai, und seine
offensichtliche Aufrichtigkeit war das einzige Mittel, den Kalifen zu
überzeugen.
»Noch nicht, sagt Ihr«, sinnierte der Kalif, scheinbar
überzeugt. »Wann denn?«
Den Bruchteil einer Sekunde betrachtete Hai den Kalifen als
Patienten – beobachtete ihn mit äußerster Konzentration und
raschem Auge. Der beständige Husten, das bleiche, graue Gesicht, die
zusammengesunkene Gestalt – Auszehrung, ohne jeden Zweifel. In
einem fortgeschrittenen Stadium und unheilbar.
»In einem oder zwei Jahren, o Herrscher der Gläubigen.«
»Ein Jahr, und keinen Tag länger! Dann werdet Ihr mich von
dieser Krankheit heilen, die mir jeden Tag mehr Kraft raubt und für die
mir niemand ein Heilmittel zu verschreiben vermag. Bis dahin werdet Ihr
das Wundermittel hergestellt haben, das wir aus Afrika geholt haben.
Vielleicht kann mir das helfen?«
»Das kann ich Euch nicht versprechen. Bisher wissen wir nur
sehr wenig darüber, nicht einmal, ob die Pflanzen in unserem Klima
überleben werden.«
»Wir sprechen im Frühjahr darüber. Inzwischen beauftrage ich
Euch, den Palast weiterhin mit dem Großen Theriak zu versorgen. Diese
Aufgabe kann ich keinem anderen anvertrauen als nur dem Sohn des Abu
Suleiman – oder sollte ich Abu Hai sagen?«
»Ich werde Euch nicht enttäuschen, o Herrscher der Gläubigen.«
Hais Einschätzung der Krankheit seines
Herrschers sollte sich als äußerst präzise herausstellen. Bis zum
Frühjahr war al-Hakam tot.
31
W ie beinahe jeden Donnerstag in den fünf
Jahren seit Da'uds Tod stand Sari früh auf und ließ ihren Tränen freien
Lauf, während sie sich ankleidete. Ungehindert rannen sie ihr über die
bleichen Wangen, die trotz ihrer Jahre noch völlig faltenlos waren. Die
Zeit hatte die verzweifelte Sehnsucht nicht ausgelöscht, die sie stets
überkam, wenn sie sah, wie Hai an Stelle seines Vaters seinen Beruf
ausübte, die Sehnsucht nach der Zeit, als sie und ihr Mann das ganze
Leben miteinander geteilt hatten, ohne Einschränkungen gegeben und
genommen hatten, als jeder für den anderen sorgte, in der innigen
Vertrautheit der Liebe, die sie verband. Nur die Aufgabe, die Hai ihr
bei seinem allwöchentlichen Sprechtag in Córdoba zugewiesen hatte, war
ihr ein geringer Halt im Leben gewesen, hatte sie gehindert, völlig in
die tödliche Lethargie der Trauer zu versinken.
Sie hatte sich um die zahllosen Patienten zu kümmern, die
bereits vor der Morgendämmerung vor der Tür des Hauses Ibn Yatom
kauerten, ehe man die Diener anwies, sie einzulassen. Es waren so
viele, daß sie alle leeren Räume des großen Hauses bis auf den letzten
Platz anfüllten und Sari und die Bediensteten in ruhigem Ton darauf
bestehen mußten, daß sich die Patienten in geordneter Manier
niederließen. Wenn Hai von seinem kleinen Landsitz vor der Stadt
eintraf, standen sie alle auf, reckten die dünnen, schmutzigen Arme
flehend zu ihm hin. Mit freundlichem Lächeln schritt er durch die
Menge, und schon allein seine Gegenwart beruhigte sie. Wenn er dann in
seinem Zimmer – Da'uds ehemaligem Arbeitszimmer –
war, achtete Sari darauf, daß sie alle wieder an ihre Plätze gingen und
geduldig warteten, bis sie an der Reihe waren.
Als sie an diesem Morgen ihre Blicke über die jammervolle
Schar schweifen ließ, fiel ihr eine Frau auf, deren Haltung sie trotz
ihres schlichten grauen Gewandes und des dicht verschleierten Gesichts
von der übrigen Menschenmenge abhob, die sich rings um sie herum
seufzend und klagend regte. Irgend etwas an der stolzen Neigung ihres
Kopfes, an ihrem kaum verhehlten Abscheu über die Nähe so vieler
geplagter, übelriechender Körper, an ihren in den weiten Ärmeln
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