Dieb meines Herzens
Auftraggeber gefährlich war, hatte er von Anfang an gewusst. Der Mann erwartete ihn in der Gasse.
Es war nicht schwierig, zu diesem Schluss zu gelangen. Ein Gentleman, der sich nicht scheute, in dunklen Gassen in dieser Gegend der Stadt Treffen zu verabreden, war entweder extrem gefährlich oder ein kompletter Dummkopf. Nach ihrer ersten Begegnung vor zwei Jahren war Red rasch klar geworden, dass sein Auftraggeber mit Sicherheit nicht dumm war. Blieb nur die andere Alternative.
Red blieb in dem schwachen Lichtkreis der Straßenbeleuchtung stehen und spähte in die Gasse hinein. Er glaubte dort die Anwesenheit einer Person zu spüren, war aber nicht sicher.
»Sind Sie da, Sir?«, fragte er vorsichtig.
»Ja, Red, ich bin da. Ich habe deine Nachricht bekommen. Gibt es Neuigkeiten?«
Die Stimme erinnerte ihn immer an das entfernte Donnergrollen eines aufziehenden Unwetters, leise und unheilvoll.
Red hatte das Gesicht des Mannes nie gesehen und hätte ihn nicht beschreiben können. Auch seinen Namen kannte er nicht, der Mann war nachts auf den Straßen als »das Gespenst« bekannt.
Manchmal überliefen Red kalte Schauer, wenn er daran dachte, dass er vielleicht wirklich für einen Toten arbeitete, doch war unbestritten, dass zumindest in diesem Fall die Toten viel mehr zahlten als die Lebenden, und Red hatte zu Hause sechs Mäuler zu stopfen.
»Ja, Sir.« Er trat aus der Sicherheit des Lichtscheins, näher zur schwarzen Einmündung der Gasse hin. »In der Kneipe erzählt man sich, dass es heute wieder ein totes Mädchen gibt und dass seit gestern eines vermisst wird.«
Kurzes Schweigen von Seiten des Gespenstes, nur so lange, dass Red sich schon fragte, ob das Gespenst mit der Dunkelheit verschmolzen war.
»Wie heißen die Mädchen, und wo wohnen sie?«, fragte das Gespenst.
»Die Tote ist Bella Newport. Sie soll noch immer dort liegen, wo das Mitternachtsmonster sie umbrachte, in einem Keller unter ihrem Zimmer in der Dalton Street. Der Mann, der sie fand, hatte Angst, die Polizei zu holen, weil er befürchtete, man würde ihn für den Täter halten. Ihre Kehle war durchgeschnitten wie bei den anderen.«
»Und das andere Mädchen? Das vermisste?«
»Annie Spence. Sie hat ihren Standplatz vor dem Falcon. Der Kneipenwirt sagt, sie hätte den ganzen Abend unter der Straßenlaterne gestanden, nahm aber keinen Freier mit hinauf. Da dachte er sich, dass das Geschäft bei ihr nicht lief. Nachdem er früher dichtgemacht hatte und hinausgegangen war, um zu sehen, ob sie Lust auf ein bisschen Zeitvertreib hätte, war sie fort. Er ist in großer Sorge um sie. Es sähe ihr
gar nicht ähnlich, mit einem Freier einfach zu verschwinden.«
»Ist jemandem aufgefallen, dass sich eines der Mädchen am frühen Abend mit einem Mann unterhielt?«
»Von Bella Newport kann ich es nicht sagen. Aber der Kneipenwirt sagte, Annie hätte mit einem Gentleman geprahlt, der schon seit einigen Tagen ein Auge auf sie geworfen hätte, ein eleganter Mann, aber zu schüchtern für Annäherungsversuche.«
»Danke, Red.«
Eine Droschke tauchte plötzlich aus den Nebelschwaden auf und rollte vorüber. Red konzentrierte sich auf die von Nacht erfüllte Gasse. Er glaubte, ein fast unmerkliches Verschieben der Schatten zu sehen, war aber seiner Sache nicht sicher. Das Geräusch der Räder und der Hufschlag übertönten die Schritte, falls es denn welche gegeben hatte.
Als das Gefährt wieder im Nebel verschwand, wusste Red, dass er allein war. Langsam trat er vor. Sicher lag der übliche Umschlag auf den Pflastersteinen. Darin würde sich Geld befinden, genug vielleicht, um seiner Frau einen neuen Hut zu kaufen. Bessie wäre entzückt. Sie billigte seine neue Tätigkeit als Assistent eines Gespenstes nicht, wusste aber das Einkommen zu schätzen.
Er stopfte den dicken Umschlag in seinen Mantel und lief nach Hause. Saß er erst mit heißem Tee vor einem wärmenden Feuer, könnte er sich einreden, dass er nicht wirklich für einen Toten arbeitete.
Vor dem dunklen, heruntergekommenen Gemäuer stand kein Constable und hielt Wache, keine Menschenmenge hatte sich auf der Straße zusammengefunden. Der Mord an Bella Newport war offenbar noch nicht zur Kenntnis der Polizei
gelangt, was jedoch nicht lange auf sich warten lassen würde, so schnell wie die Gerüchte durch die Straßen flogen. Thaddeus wusste, dass ihm nicht viel Zeit blieb.
Angestrengt und mit offenen Sinnen lauschend, vergewisserte er sich, dass er allein auf der Straße war. Er sah
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