Dieb meines Herzens
sich vor einem Wolf duckt, ein vor Angst erstarrtes Rehkitz. Ihre Arme und Beine werden Ihrem Willen nicht mehr gehorchen .«
Neben dem Wandschrank war keine Bewegung. Thaddeus sprach weiter, während er ein Licht anzündete.
»Sie können heute nicht töten. Sie sind hilflos .«
Das Licht flammte auf und fiel auf Lancing, der wie erstarrt im Schatten des Schrankes stand. Thaddeus hob den Lauf der Pistole und zielte auf Lancings Herz. Aber ehe er abdrücken konnte, verzerrten sich Lancings Züge vor Angst. Zugleich zuckte seine Aura, pulsierte wild und willkürlich und durchbrach die Trance.
Abrupt vom hypnotischen Bann befreit, sprang Lancing mit der Flinkheit eines Jägers zur Tür, doch ihn trieb nun nicht mehr Blutdurst. Das Chaos der Panik hatte ihn überwältigt.
»Stehen bleiben «, befahl Thaddeus. Aber Panik war eine Form des Wahns; instabil und unbeherrschbar, zumal bei jemandem, der bereits von Sinnen war.
Lancing flüchtete durch die Tür und verschwand im Gang. Er bewegte sich wieder mit der übersinnlichen Geschwindigkeit eines Jägers.
Thaddeus folgte, wusste jedoch, dass er ihn nicht einholen konnte.
Er erwartete, Lancings Schritte auf der Treppe zu hören. Stattdessen wurde eine Tür irgendwo im Gang hinter ihm aufgerissen. Als er herumfuhr und eine Leuchte umstieß, sah er Lancing eben noch durch den Ausgang verschwinden.
Mit der Pistole im Anschlag rannte er ihm nach. Ein in die Enge getriebener Jäger im Griff der Angst war ebenso gefährlich wie ein von Mordlust besessener.
An der offenen Tür angelangt sah er sich einer schmalen Treppe gegenüber, die auf das Dach führte. In seiner Verwirrung oder von einem Urinstinkt getrieben, die Höhe zu suchen, hatte Lancing sich aufs Dach geflüchtet und nicht hinunter auf die Straße.
Schritte dröhnten auf den Stufen über ihm. Thaddeus betrat vorsichtig die dunkle Treppe, eine Hand gegen die Wand gestützt, damit er sich weitertasten konnte. Er hielt die Sinne weit offen und nahm die Fährte von Lancings irrer Energie auf. Am oberen Ende der Treppe wurde wieder eine Tür aufgerissen. Nachtluft strömte auf die Treppe. Lancing trat auf das Dach hinaus.
Thaddeus folgte ihm. Die Angstströme des in Panik geratenen Jägers ließen nach. Wut und Blutdurst gewannen wieder die Oberhand.
Nun hatte auch Thaddeus das Dach erreicht und strich ein Zündholz an. Er sah Lancing, dessen Gesicht zu einer schrecklichen Maske verzerrt war, reglos in einiger Entfernung vor sich. Das Monster erstarrte sprungbereit.
»Sie können sich nicht rühren, Lancing. Sie werden hier reglos stehen, bis ich Ihnen die Hände am Rücken gefesselt habe. Dann werden Sie zu Scotland Yard gehen und gestehen, dass Sie das Mitternachtsmonster sind.«
Sekundenlang taten die Hypnosebefehle ihre Wirkung. Lancing stand wie zur Salzsäule erstarrt da, während Thaddeus auf ihn zuging. Er musste so nahe herankommen, dass er diesmal sein Ziel nicht verfehlte.
Doch Lancings Überlebensinstinkt, von seinem natürlichen Talent und seiner mentalen Instabilität genährt, überflutete abermals die hypnotischen Ströme der Trance.
Mit einem Schrei sprang er auf die steinerne Brüstung und stürzte sich in die Nacht hinaus.
Vielleicht hatte er auf ein angrenzendes Dach springen wollen. Wenn dem so war, war ihm ein folgenschwerer Irrtum unterlaufen. Er fiel über die Dachkante der Straßenseite.
Sein lang gezogenes, lautes Geheul mündete einen Herzschlag später in schockierende Stille.
36
Die Stille währte nicht lange. Ein Pferd wieherte erschrocken. Ein Hund fing zu bellen an. Jemand schrie laut.
Thaddeus spähte über den Rand der Brüstung. Tief unten fiel das Licht der Straßenbeleuchtung auf eine chaotische Szene. Ein Wagen hatte eben einen Fahrgast abgesetzt. Lancings Körper war fast unmittelbar vor den Rädern gelandet und hatte das Pferd erschreckt. Das scheuende Tier tänzelte nervös zwischen den Strängen, und der Kutscher kämpfte darum, seinen Gaul zu zügeln, was ihn nicht hinderte, seinen Fahrgast anzubrüllen.
»Hallo, was ist mit meinem Geld? Und mit dem versprochenen Trinkgeld, wenn ich Sie hier pünktlich absetze?«
Der Passagier ignorierte ihn und lief zu dem Toten. Die
Bewegungen der Gestalt kamen Thaddeus bekannt vor. In diesem Moment fiel die Mütze des Mannes herunter. Langes dunkles Haar kam darunter zum Vorschein.
»Was nun, zum Teufel?«, japste der Kutscher verdutzt.
Ein großer Hund sprang unter wütendem Gebell aus dem Wagen. Auch der Hund sah
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