Diebesgeflüster - Band 3
und hastete zur Öffnung in den Flur. Von den anderen Priestern war nichts mehr zu sehen. Auch in die andere Richtung erstreckte der Gang sich leer und verlassen.
Tebby wischte sich Schweiß von der Stirn und machte sich daran, den Priester aus seiner Kutte zu schälen. Dass ein so kleiner Kerl so schwer sein musste!
Endlich konnte sie den dicht gewebten Stoff über den Kopf ziehen, den schwarzen Gürtel um ihre Mitte wickeln und die kärglichen Inhalte des Korbs in der großen Bauchtasche der Kutte verstauen. Tebby zog die Kapuze über den Kopf und tief in ihr Gesicht, straffte ihre Gestalt und eilte den Gang entlang, der in die Vorhalle münden würde.
Das Herz hämmerte Tebby in der Brust. Wenige Schritte vor Erreichen der Halle verlangsamte Tebby ihre Schritte, stopfte die Hände in die Bauchtasche, senkte den Kopf und trat dann auf den eiskalten Marmor, der kurz zuvor von so vielen Füßen beschritten worden war.
Zwei Wachen vor dem Portal. Die Tatsache, dass sie mit ihrer Vermutung recht gehabt hatte, trug keinesfalls zu Tebbys Zufriedenheit bei. Doch jetzt in der Verkleidung als Geistlicher stand es zu hoffen, dass die Wachen beiseite treten würden. Die Socke würde Tebby hier nicht weiterhelfen. Einer von den Wächtern würde Alarm geben, falls sie einen Angriff auch nur versuchte. Außerdem war dies nicht ihre Art. Sie kam wie ein Geist, nahm sich, was sie brauchte, und verschwand ebenso ungesehen wieder. Was nützte einem ein Sack voller Gold, wenn die Wächter zugriffen?
Das Gefühl der Hilflosigkeit brannte frisch in Tebby, obwohl ihre Gefangennahme fast zwei Wochen in der Vergangenheit lag. Die Wachleute des Großfürsten hatten nur auf sie gewartet. Sie war in eine Falle marschiert und hatte das erst begriffen, als sie eine schwere Hand auf der Schulter gespürt hatte.
Die Angst vor einer Wiederholung dieses Augenblicks begleitete Tebby bis vor das Portal. Doch die Wächter traten respektvoll beiseite, und einer öffnete die Pforte sogar.
Mit klopfendem Herzen und schweißnassen Händen trat Tebby in den großen Saal. Buntes Licht in allen Schattierungen des Regenbogens begrüßte sie. Die Fenster zeigten Szenen aus Schlachten und der Geschichte von Tespins Hald, vermutete sie. Ritter in Rüstungen, Pferde, Schwerter, fremdartig aussehende Menschen mit Hörnern und grüner Gesichtshaut. Kronen, Throne. Und auf jedem Fenster war ein Mann zu erblicken, der mittels eines Holzgestells das Banner des Reichs hoch hielt.
Hinter Tebby fiel die Tür ins Schloss. Einen wilden Moment lang wollte Tebby zurück, an den Wächtern vorbei und auf den Festungshof rennen. Jede Muskelfaser schrie hinaus, dass dies eine Falle sein musste. Jeden Augenblick würde eine schwere Hand auf Tebbys Schulter fallen. Eine zweite die Kapuze von Tebbys Kopf reißen und sie enttarnen. Zu leicht erschien ihr der Weg hierher. Sie war in die Festung spaziert, hatte sich bislang vollkommen ungehindert bewegen können und nun sogar den Saal erreicht, in dem das kostbare Banner aufbewahrt wurde. Es konnte sich nur um eine Falle handeln. Ein Hinterhalt, in den der Großfürst Tebby gestoßen hatte. Ein Auftrag, der nicht zu erfüllen war.
Sie schloss die Augen, biss die Zähne zusammen und zählte im Geiste bis fünf, straffte sich und öffnete die Lider wieder. Herumstehen, verzweifeln und sich einen Kerker vorzustellen, half nicht. Die Brüder in der Gewalt des Großfürsten, zwei Reiche an der Grenze zum Krieg, der selbst den Fürsten als harmlosen älteren Herrn erscheinen ließ.
Das Banner über einem Altar an der Stirnseite des lang gestreckten Raumes drapiert.
Verdammt, selbst wenn dies eine Falle sein sollte, musste Tebby zumindest ihr Möglichstes tun, um ihren Auftrag zu erfüllen. Sie wollte nicht als verzweifeltes Mädchen in die Geschichte von Tespins Hald eingehen. Eine Heulsuse, die nicht einmal den Versuch unternahm, etwas zu leisten. Und wenn es auch nur ein Diebstahl war. Das zumindest konnte sie!
Sie reckte das Kinn vor und marschierte den Gang zwischen den Stuhlreihen entlang. Kühler Stein sandte Eiskälte in Tebbys Fußsohlen, doch der Zorn brannte warm genug in ihr, dass sie dies nicht einmal bemerkte. Sie hatte nur noch Augen für das Banner, registrierte nebensächlich, dass die Rekruten hier vereidigt worden waren und ihre Treue unter dem silberdurchwirkten Tuch geschworen hatten. Tespins Hald wollte Krieg, und Tebby wollte das Banner von der Wand reißen und den blutrünstigen Befehlshabern wegnehmen.
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