Diebesgeflüster - Band 3
Ruhe die Strecke über das Dach zum Mauerwerk, wo sich in bequemer Reichweite ein Fenster befand.
Ihr Blick flog hoch, folgte der aufstrebenden Mauer bis zu den Wehrgängen auf der gesamten Dachfläche. Kein Soldat in Sicht. Tebby war sich sicher, dass es da oben nur so von ihnen wimmelte, aber natürlich konzentrierten sie sich auf die Außenseite der Festung, auf den Blick über die Stadt, deren Mauern und das umliegende Land. Der Kreidefelsen ragte hoch genug auf, um eine gewiss atemberaubende Aussicht zu ermöglichen.
Konzentriert betrachtete Tebby aus dieser Entfernung das Fenster. Das Glas war blind vor Schmutz und deutete auf Nichtbenutzung des Raumes hin. Tebby lächelte und zog schließlich den Rucksack von den Schultern, um in dessen geräumigen Tiefen nach dem Werkzeug zu suchen. Sie straffte die Riemen wieder, blickte noch einmal nach oben zur Wehr und drückte die Dachluke behutsam und lautlos auf. Tebby sah hastig rundum, kaum dass sie den Kopf durch die Öffnung schieben konnte, und noch einmal nach oben. Dann zog sie sich auf das Dach und huschte zum schützenden Schatten der Mauer und zum Fenster.
Flach presste Tebby sich gegen den Stein und spähte noch einmal umher. Ein Einbruch bei Tageslicht erhöhte einerseits das Risiko, andererseits rechnete kaum jemand mit solcher Dreistigkeit. Vor den Nasen der Stadtwächter hatte Tebby schon Wertgegenstände aus einem Haus geschafft, während die Tempelglocken ringsum zur Mittagsandacht läuteten. Es ging alles mit einer gehörigen Portion Unverfrorenheit!
Zufrieden, dass sie bislang niemandem aufgefallen war, wandte sie sich dem Fenster zu. Der Holzrahmen konnte dem Werkzeug nicht lange standhalten. Tebby stieß das Fenster nach innen auf und glitt lautlos in den dahinter liegenden Raum, drückte den Rahmen hinter sich wieder zu und sah sich dabei schon rasch und forschend um. Ein staubiges Gemach, in dem Kisten unter Leintüchern entlang der Wände aufgestapelt standen. Keine Spuren in der dicken, grauen Schicht am Boden.
So weit – so gut. Tebby huschte zur Tür und drückte das Ohr an das Holz, um auf Geräusche auf der anderen Seite zu lauschen. Stille. Sie atmete tief durch, legte die Hand auf die Klinke und drückte diese behutsam nieder. Die Türangeln quietschten leise, und sofort verharrte Tebby, atmete durch den geöffneten Mund flach und lautlos und horchte erneut auf irgendein Signal, ob jemand das Quietschen gehört hatte und dem Geräusch auf den Grund gehen wollte.
Die Stille hämmerte auf ihre Trommelfelle. Ohne die Tür auch nur einen weiteren Fingerbreit zu bewegen, streifte Tebby mit der freien Hand den Rucksack von der Schulter, schob die Riemen bis zum Ellenbogen hinab und grub dann in dem Bündel, bis sie das Ölfläschchen gefunden hatte. Törichter Leichtsinn angesichts des verwaisten Raums, daran nicht sofort gedacht zu haben.
Auf Zehenspitzen stehend ölte sie die Angeln oben, ging tief in die Knie, um auch die zweite zu erreichen. Dann zog sie die Tür sanft erneut auf. Dieses Mal bewegte sie sich lautlos, und Tebby spähte auf den Gang.
Leer, was Tebby das Gefühl gab, dass sogar ihre Atemzüge ein Echo warfen. Steinboden aus groben Quadern, Spinnweben in dem Winkel zwischen Wand und Decke. Ganz offenkundig ein selten genutzter Flügel der Festung. Angesichts der enormen Größe des Bauwerks kein Wunder, auf ungenutzte Bereiche zu stoßen. Tebby hätte gerne gewusst, wo die Soldaten untergebracht wurden, doch da der Strom der Rekruten sich weiter durch die Höfe gewälzt hatte, konnte sie hoffen, dass die Unterbringung von Jungvolk samt seiner Ausbilder und Offiziere weit entfernt lag.
Sie zog die Tür wieder zu und grub in ihrem Bündel nach dem bodenlangen Rock und dem geflickten Schultertuch, dessen Herrichtung erstaunlich viel Zeit in Anspruch genommen hatte. Ein Kopftuch vervollständigte die neue Maskerade. Dann zog sie das größte Ausrüstungsstück aus dem Sack: einen Henkelkorb, in dem sie ihre Ausrüstung leicht unterbringen konnte. Das Bündel selbst hielt als Tarnung her und würde bei flüchtiger Aufmerksamkeit als Schmutzwäsche oder Putzlumpen durchgehen. Ein herumstrolchender Junge könnte allzu leicht zur Musterung beordert werden. Aber eine Magd wäre nicht so leicht in die Festung gekommen.
Tebby rief sich die Ansicht der aufragenden Außenmauer in Erinnerung, wo genau sich die bunten Fenster – die einzige Unterbrechung des schroffen Mauerwerks – befunden hatten. Langsam lief sie los.
Der Flur
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