Diebesgeflüster - Band 3
Krankheiten durch erhöhte Hygienebedingungen verhindert wurden. Natürlich nur, um für die Gesundheit der Wachen zu garantieren.
Doch dieses Mal sollte die neunundzwanzigste Schale keinen Abnehmer finden. Als Hauptmann Charkins bei Zelle 29 ankam, erschrak er nämlich so sehr, dass er das Behältnis fallen ließ. Das Wasser verteilte sich in den Spalten zwischen den Steinplatten, während der kräftige Wachsoldat ungläubig in die Zelle starrte. Denn diese war unbewohnt.
Der Hauptmann rieb sich die Augen. Wie konnte das möglich sein? Obwohl er erkannte, dass die große Wolldecke, die schon fast spöttisch sorgfältig über das ganze hohe Holzschafott ausgebreitet worden war, als hätte jemand sein Bett gemacht, keinen Platz für darunterliegende Körper ließ, öffnete er mit seinem Schlüssel die Zellentür und schlug mit dem Holzstiel seiner Lanze quer über das betuchte Podest. Ein dumpfer Knall und einige Büschel Stroh, die an den Rändern der Holzplattform unter der Wolldecke hervorquollen, die das gesamte Podest fast perfekt abdeckte, waren alles, was auf diese verzweifelte Aktion folgte.
Nun erkannte der Wachsoldat den Ernst der Lage. Er rannte so schnell aus der Zelle, dass die eiserne Gefängnistür beim Aufschwingen auf die Gitterstäbe prallte und noch Sekunden lang erzitterte.
Charkins löste sofort Alarm aus. Natürlich glaubte ihm kein Mensch, dass die beiden neuesten Gefangenen bereits einen Tag später nicht mehr in ihrer Zelle waren. Doch als er nach langer Zeit eine andere Wache überreden konnte, sich die Zelle 29 ebenfalls anzusehen, erkannten mit der Zeit auch die anderen Soldaten das Fehlen der beiden frischesten Gäste.
So gern Hauptmann Charkins auch immer die Drecksarbeiten erledigt hatte, so schwer fiel ihm die folgende Aufgabe. Er musste den Lord über den Ausbruch informieren. Und er konnte sich nicht einmal rechtfertigen. Was hatten sie denn getan? Was hatte er denn getan? Nichts! Und trotzdem würde Lord Frankis wütend werden. Hauptmann Charkins fürchtete um seinen Beruf. Er fürchtete um seinen Rang. Er fürchtete um sein Leben.
Schildwache Rain beobachtete das Treiben im Dorf. Es schien, als würden sich alle Soldaten Willshires dort befinden, um sämtliche Häuser und Verstecke zu durchsuchen. Sogar den Lord selbst hatte sie schon gesehen, der mit seinen zwei Leibwächtern die Suche nach den geflohenen Verbrechern im Dorf beaufsichtigte. Die Burg hatten sie offensichtlich bereits bis auf den letzten Winkel durchkämmt, immerhin war es auch schon vier Stunden her, dass Rain zum ersten Mal von dem Ausbruch der beiden Gefangenen gehört hatte und angewiesen worden war, alle Ein- und Ausreisenden verschärft zu kontrollieren. Ihre zwei Torwächter mussten auf den Befehl des Lords hin ihre Stellung verlassen, um sich an der Suche zu beteiligen.
Es wurde gemurmelt, dass der Lord vor Wut kochte und alle verfügbaren Soldaten von ihren Positionen abgezogen hatte, um die vermaledeiten Schufte zu finden, die ihm beinahe seine Diamanten gestohlen hätten und ihn dabei auch noch so weit gebracht hatten, vor ihnen zu knien. Sogar die erneute Geburtstagsfeier hatte der Lord anscheinend abgesagt, so sehr war er außer sich vor Zorn.
Rain wusste nicht, ob sie alles glauben konnte, was so erzählt wurde, aber es musste doch einiges an der Geschichte stimmen. Das Chaos im Dorf deutete darauf hin. So etwas gab es bisher nie. Die gesamten Burg-, Kerker- und Dorfwachen waren im Einsatz, sogar die Soldaten, die gerade erst Schicht gehabt hatten, wurden wieder einberufen, und auch die Diener des Lords sah man bei der Suchaktion in Kloaken und Brunnenschächte klettern.
Über den Dorfplatz schepperte ein Wirbelsturm aus schwarzen und weißen Rüstungen. Soldaten in Zivil sah man Schulter an Schulter mit dreckigen Sklaven, die das erste Mal seit einer Ewigkeit wieder die frische Luft außerhalb der Burg einatmen konnten. Gemeinsam durchsuchten sie aus Furcht vor der Wut des Lords alle Verstecke im Dorf.
Zeitgleich wanderten zahlreiche Handwerker und Händlerinnen deutlich irritiert am Dorfplatz umher, eingeschüchtert von dem militärischen Aufgebot, das ihr Hab und Gut durchsuchte, und waren auf der Suche nach ihren Kindern, die vor den bedrohlich aussehenden Wachen geflüchtet waren.
Nur Schildwache Rain stand ganz alleine vor dem Tor und hielt die Augen offen, um niemanden ohne Kontrolle durchzulassen. Die beiden Männer konnten nicht entkommen. Das Tor hinter ihr war der einzige Ein- und
Weitere Kostenlose Bücher