Diebeswelt Sonderband: Der dunkle Held
über dem Handgelenk. Sie wußte, daß er
ein weiteres in einer Scheide trug, die in einen seiner Halbstiefel
eingearbeitet war und dessen stumpfes Ende wie eine Verzierung
aussah. Außerdem führte er noch ein paar dieser
bösartigen, sechszackigen Wurfsterne mit sich.
»Kann ich dich begleiten, oder muß ich dir
folgen?«
»Mignue, verdammt noch mal – bleib hier! Du weißt,
daß die Dunkelheit mein Zuhause ist. Ich kann mich auch lautlos
bewegen, und diese Stiefel sind dafür gemacht. Sieh dich doch
an, in all diesen Kleidern! Wie könntest du darin richtig rennen
– oder schleichen?«
Ohne eine Antwort zu geben begann sie, ihre Kleider
auszuziehen.
Hanse machte einen Schritt auf sie zu und ergriff sie an beiden
Schultern. »Mignue, denk doch einmal nach, bitte. Ohne dich ist
es für mich viel sicherer.«
Sie wirkte verletzt, aber das lag nicht daran, daß sie sich
beleidigt fühlte; sie hatte gerade eine unbestreitbare Tatsache
gehört, und das wußte sie auch, ob es ihr nun gefiel oder
nicht.
»Es… es ist nur, weil ich mir solche Sorgen mache,
Liebling. Ich habe solche Angst um dich!«
»Fällt dir irgend etwas ein, das ich mitnehmen sollte,
hmmm?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, ich… oh, du denkst
an das Hellsehen, nicht wahr? Ich soll für dich sehen. Nein, da ist nichts. Vielleicht bedeutet das, daß es
überhaupt keine Gefahr gi… Hanse, reite auf Enas und
folge Wunder. Du wirst Enas brauchen, Hanse. «
Er starrte sie in der Dunkelheit an, die hier, nahe der
Bäume, fast vollkommen war.
»Was? Wunder folgen? Wieso glaubst du, daß Wunder…
Mignue?«
»Hmmm?«
»Wieso glaubst du, daß Wunder weiß, wo es
langgeht?«
Sie legte den Kopf auf die Seite. »Warum ich glaube,
daß Wunder – was weiß? Wovon redest du
überhaupt?«
»Mignue, hör auf! Du hast gesagt… oh. Es ist
passiert!«
Hanse fühlte einen nur allzu bekannten Schauder über
seinen Rücken laufen und spürte, wie sich die Härchen
auf seinen Armen aufrichteten. Doch diesmal war er über das
Gefühl genauso froh wie über ihre Worte. Es war gerade
wieder geschehen. Wenn er ihre Augen hätte sehen können,
hätte er sofort Bescheid gewußt. Er hätte beobachten
können, wie sie plötzlich diesen unheimlich leeren Ausdruck
annahmen und ins Nichts zu starren schienen, denn sie hatte für
ihn gesehen. Er erzählte ihr, was sie gesagt hatte, und
natürlich war Mignureal überrascht.
Sie waren sich darin einig, daß eine Wachkatze mehr als eine
Eigenschaft eines Hundes besitzen und vielleicht ebenfalls
Fährten verfolgen könnte. Natürlich war jede Katze,
wie groß sie auch sein mochte, von Geburt aus fähig, eine
Beute zu verfolgen und zu reißen; alle Katzen besaßen die
dazu nötige Kraft und Gewandtheit, Zähne und Krallen. Und
außerdem zeigte Wunder eine merkwürdige Vorliebe für
größere Tiere. Andererseits konnten sich weder Mignureal
noch ihr Geliebter vorstellen, wozu der Onager gut sein sollte,
abgesehen davon, daß er Hanse schneller und bequemer an sein
Ziel bringen würde. Wo immer das auch lag. Es war kaum
vorstellbar, daß Enas Kriegspferd spielen und die Gegner
angreifen und niedertrampeln würde. Genausowenig war damit zu
rechnen, daß er sich den Tejana rückwärts
näherte, um ihnen einen dieser gewaltigen Tritte zu verpassen,
für die Onager zu Recht berüchtigt waren.
Während sie sich darüber unterhielten, wandelten sie
Enas’ Zugleine zu einem Zügel um. Sie legten ihm eine Decke
und ein Polster auf den Rücken, das zuvor seinen Rücken vor
dem Gepäck geschützt hatte und ziemlich faulig roch.
Trotzdem bestand Nachtschatten auf beiden Unterlagen, die Decke
über dem Polster. Er stemmte sich mit einem Bein gegen die Seite
des Onagers und zog die Bänder fest, die seine Reitunterlage
hielten.
Enas gefiel es überhaupt nicht, daß jemand auf ihm
reiten wollte. Er versuchte sogar, kurz zu bocken, reagierte dann
aber auf Hanses feste Hand und einen kleinen Ruck am Zügel.
Hanse blickte Wunder fragend an. Wunder saß auf dem Boden,
beobachtete Hanse und gähnte. Hanse runzelte ärgerlich die
Stirn und warf Mignureal einen kurzen Blick zu. Sie zuckte die
Achseln. Sie konnte sich überhaupt nicht an ihre Worte über
den Kater erinnern und hatte erst recht keine Erklärung
dafür.
»Soviel zum Thema Spürkatze«, sagte Hanse.
»Bis später«, fügte er dann noch hinzu. Sie
hatten schon mehr als genug Worte über sein Vorhaben verloren.
Er schnalzte mit der Zunge und drückte dem Esel die Fersen in
die
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