Diebin der Nacht
bestimmte ja trotz seines tiefen Zynismus noch immer der Duellkodex des Gentleman sein Handeln. Oder war er vielleicht gerade dabei, sich törichterweise in diese kleine Betrügerin zu verheben und fürchtete sich deshalb davor, in ihrem Falle Recht zu haben. Er war gewillt zu verletzen, hatte jedoch Angst davor zu töten.
»Sagen Sie mir, Sam - wie kann die Tochter des Teufels nur eine so unschuldig aussehende Schönheit sein?«
»Sie sprechen vermutlich von Mystere Rillieux?«
Rafe nickte.
»Welch andere Form«, argumentierte Sam, »sollte die Tochter des Teufels denn haben? Sie muss ja vor allem betören - das wahre Wesen alles Höllischen.«
Rafe nickte erneut, denn er konnte die Weisheit dieser Aussage erkennen. Er warnte sich jedoch selbst: Er musste wachsam seine Gefühle bekämpfen, denn er war ein Mann mit einer Mission, und Mystere war eine Bedrohung für deren Erfolg.
»Hush, wasch dir gefälligst die Ohren oder schneide dir die Haare«, schnauzte Paul Rillieux den Jungen an. »Ich habe dir schon früher gesagt, dass du nicht in Mysteres Nähe herumlungem sollst. Wenn der Lakai gerade nicht seinen Kutschenpflichten nachkommt oder Botengänge macht, hat er in der Eingangshalle zu warten, um an die Türe oder ans Telefon zu gehen. Und nun verschwinde.«
»Aber Sir, ich lungere nicht herum. Mystere hat gesagt, dass ich heute Morgen wieder eine Lesestunde haben -«
»Gut, dass du mich daran erinnerst«, unterbrach Rillieux ihn und warf einen missbilligenden Blick durch den Salon in Mysteres Richtung. »Ich will, dass dieser Lesestundenunsinn aufhört.«
Sie hielt mit ihrer Kaffeetasse auf halbem Wege zu ihrem Mund inne und stellte sie auf ihre Untertasse zurück. »Warum, Paul? Das ist unfair. Du hast selbst gesagt, dass der Junge lesen können sollte.«
»Nun, dann hatte ich eben Unrecht. Er wird lediglich auf dumme Gedanken kommen. Sieh dir nur an, welchen Blödsinn diese radikalen Pamphlete in Baylis’ und Evans ungebildete Köpfe hineingestopft haben. Verschwinde, hab ich gesagt«, wiederholte er, und Hush gehorchte.
»Also wirklich, Paul, er ist doch kein Hund«, tadelte Mystere ihn.
»Oh, zum Kuckuck mit deinem weltverbessemden Geschwafel. Er war ein dreckiges Gossenkind, bevor ich ihm ein Zuhause gegeben habe. Ich hab deine verdammten Klagen satt.«
»Ich verstehe nicht, warum du eine so widerliche Laune hast. Ich habe doch Sylvias Brosche für dich gestohlen, oder etwa nicht?«
Dieselbe Brosche, hatte sie jedoch nicht den Mut hinzuzufügen, die in deinen privaten Tresor gewandert ist und nicht in die Familienkasse. Es war ihr gelungen, diese nach der Oper in der Astor-Residenz zu entwenden, nachdem Rafe gegangen war. In der hektischen Aufregung der Verabschiedungen hatte sie dann zugeschlagen. Der Diebstahl war nicht einmal in den Morgenzeitungen erschienen, also war es ziemlich wahrscheinlich, dass Sylvia ihn - wenn überhaupt - erst zu Hause bemerkt hatte.
»Meine Stimmung hat damit überhaupt nichts zu tun«, antwortete er. »Hast du nicht bemerkt, dass du und Belloch uns beinahe die Oper verdorben hättet. Und das nach meiner ganzen harten Arbeit, in Mrs. Astors inneren Kreis einzudringen. Ihr beide ward schlimmer als Schullander, und Caroline war wegen dir ziemlich wütend auf mich.«
»Paul, du hast noch immer nicht verstanden, worum es in Wirklichkeit geht. Carolines Verärgerung ist nicht das wirklich Ausschlaggebende. Ich sagte dir doch bereits letzte Nacht, dass Rafe Belloch dabei ist, uns zu entlarven. Er erzählte mir, dass er wegen uns in New Orleans Erkundigungen einholen lässt.«
»Ich sage dir, das ist alles nur Bluff. Warum sollte er dir irgendetwas davon erzählen, noch bevor er eine Antwort bekommen hat?«
»Das ist eben seine Art - der Mann ist arrogant und sich seiner Sache ganz sicher.«
Paul schnaubte. »Ach ja, ich hatte ganz vergessen, dass du schon so viel Erfahrung mit Männern hast. Aber nur einmal angenommen, rein theoretisch, er hat wirklich eine Anfrage gemacht. Versprichst du mir, dass deine Reaktion auf das Ganze so aussehen wird, dass du ihn von nun an meidest?«
»Ja, sicher, er-«
»Wer viel redet, denkt nie nach. Benutze doch deinen Kopf, du naive kleine Närrin. Wenn du einen Splitter im Finger hast, schneidest du dir doch auch nicht gleich den Arm am Ellbogen ab, oder?«
»Das ist klug gesprochen, aber ich sehe nicht den Zusammenhang.«
Er seufzte ungeduldig. »Schau, der Mann ist eindeutig vernarrt in dich, er brennt darauf, dich zu
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