Diebin der Nacht
Aufmerksamkeit der Presse und der Öffentlichkeit auf etwas anderes als auf Lady Moonlight oder Lance Streeters Klatsch. Und das vor allem an diesem Abend, da der Duke und die Duchesse of Granville zugegen sein sollten - was der gemischten Gesellschaft sowohl altes Geld als auch einen alten Titel sicherte.
Schon bald nachdem Paul und Mystere angekommen waren, wurden sie den beiden vorgestellt. Der Herzog strotzte nur so vor unbezähmbarer Jugend und Energie, während der Charme seiner attraktiven jungen Frau gesetzter, jedoch keineswegs weniger natürlich war. Mara Sheridan war eine schwarzhaarige, irisch-amerikanische Schönheit, die das gute Aussehen mit ihrem älteren Bruder Trevor gemeinsam hatte, jedoch keinerlei Anzeichen seines gefürchteten Jähzornes oder seiner verurteilenden Blicke aufwies.
Beide schienen ziemlich angetan von Mystere zu sein, die Herzogin machte ihr Komplimente wegen ihres ärmellosen Kleides aus grüner Seide. Paul überraschte Mystere, indem er sich seltsam schüchtern gab, ihre Hand nahm und sie plötzlich wegzog, noch bevor sie ihr Gespräch mit der Herzogin beenden konnte.
»Komm, meine Liebe, da sind noch andere, die ihr ihre Aufwartung machen wollen«, murmelte er.
»Aber Paul! Sie hatte mich etwas gefragt, und du hast mich mitten im Satz weggezogen. Du warst unhöflich, ich konnte ihrem Gesicht ansehen, dass sie es auch so empfand.«
»Oh, mach dir wegen ihr keine Gedanken, ich muss dir etwas Wichtiges zeigen.«
Als Paul und Mystere den Empfangssalon verließen und ein Lakai sie in den Ballsaal geleitete, beugte Paul sich näher zu ihr hin, um ihr ins Ohr sprechen zu können.
»Starr jetzt bitte nicht hinüber, aber dort drüben beim Orchester steht Inspektor Byrnes. Es geht das Gerücht, dass mehrere der >Bediensteten< heute Abend in Wirklichkeit seine Männer sind. Und sieh dir nur all diese hübschen Schmuckstücke an, die heute hier zur Schau gestellt werden. Irgendeine Falle ist ausgelegt worden, so viel ist sicher. Aber so dringend wir es auch nötig hätten, widerstehe heute Abend lieber der Versuchung, meine Liebe.«
»Glaub mir, das werde ich tun«, versprach sie, und in diesem Moment meinte sie es sogar beinahe ernst damit. Ein rascher Rundumblick bestätigte ihr jedoch zwei beruhigende Tatsachen: Rafe war nicht dort, aber Antonia war es - und ihr Smaragdring war unübersehbar.
Schon bald jedoch gaben Mysteres Sorge und ihre aufgewühlten Emotionen jedem einzelnen Umstand eine düstere Bedeutung, selbst denen, die ihr eigentlich positiv erschienen. Rafes Abwesenheit zum Beispiel. Hatte er schließlich doch etwas aus New Orleans gehört? Wenn ja, so könnte seine Abwesenheit ein Teil der Falle sein, die Paul erwähnt hatte. Bewusst geplant also, um sie kühn werden zu lassen. Und das könnte bedeuten, dass die Polizei sie schon verdächtigte.
In jedem Falle aber musste sie die reale Gefahr gegen ihre zunehmend verzweifeltere Lage abwägen. Pauls Idee, dass Rafe irgendwie ihr finanzieller Ausweg sein könnte, war absurd. Ihre einzigen echten Alternativen waren mehr als deutlich: entweder Antonias Ring stehlen oder passiv auf Entlarvung, Festnahme, Demütigung und Gefängnis warten.
Sie wanderte in der glanzvollen Menschenmenge umher und versuchte, sich dezent im Hintergrund zu halten. Zweimal tanzte sie, zuerst einen Walzer mit Anwalt George Templeton Strong und dann eine längere Quadrille mit einem steifen Marinekadetten, der puterrot wurde, als sie kühl seine Flirtversuche zurückwies. Das Letzte, was sie gebrauchen konnte, war ein Mann, der ihr den ganzen Abend an den Fersen hing.
Als sie wieder allein war, besuchte Mystere die Cocktailbar und verlangte ein Glas Limonade. Abbot Pollard, der, seinem schwankenden Gang nach zu urteilen, gerade an seinem dritten oder vierten Glas Gin arbeitete, tauchte p l ö tz li ch an ihrer Seite auf.
»Ich habe Lance Streeter in der Masse der Zeitungsmänner draußen entdeckt«, begrüßte er sie. »Sieht so aus, als hätten Sie vor, ihn heute Abend zu enttäuschen, was? Glückwunsch.«
»Wofür?«
»Natürlich für Ihre Fähigkeit, diesem vulgären Rüpel Rafe Belloch aus dem Weg zu gehen. Genau so, wie Caroline und ich es Ihnen geraten hatten. Braves Mädchen.«
»Ihm aus dem Weg zu gehen? Das ist nicht besonders schwierig, da er heute Abend ja gar nicht erschienen ist.«
Abbot gab ein Schnauben von sich. »Nein? Dann muss das wohl sein Zwillingsbruder sein, der gerade in diesem Moment mit Carrie tanzt.«
Äußerst
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