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Diener des Boesen

Diener des Boesen

Titel: Diener des Boesen Kostenlos Bücher Online Lesen
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lenkte, und nahm das Kind auf den Arm.
    Neville hielt es für einen klugen Schachzug, um das Wohlwollen der Menge zu erregen, doch als er Bolingbrokes Gesicht sah, bemerkte er, dass Hal das Mädchen mit solch liebevollem Blick betrachtete, dass Neville sich schon fragte, ob es womöglich sein eigenes Kind war, das Ergebnis einer flüchtigen Liebelei.
    Er musterte die Frau. Nein, sicherlich nicht… es war eine einfache Frau, noch dazu in mittleren Jahren. Sie hätte wohl kaum Bolingbrokes Interesse wecken können.
    Neville sah wieder Bolingbroke an, der das Kind gerade aufs Haar küsste, und musste an Rosalind denken. Vielleicht mag er einfach Kinder, dachte Neville. Nun, so Gott will, wird Mary ihm bald welche schenken.
    Bolingbroke hob das Kind hoch und zeigte es der Menge. »Ist sie nicht wunderschön?«, rief er. »Trägt sie nicht das Gesicht Englands?«
    Nun, das war hübsch gesprochen, dachte Neville und lächelte kurz.
    Wieder jubelte und klatschte die Menge, und mit offensichtlichem Bedauern reichte Bolingbroke das Mädchen an ihre Mutter zurück, nahm die Zügel seines Hengstes wieder auf und trieb das Pferd zu einem langsamen Trab an.
    »Wohin reitet Ihr?«, rief ein Mann mit einem schweren ländlichen Akzent ihm zu, und die Frage wurde von der Menschenmenge aufgegriffen.
    Wohin reitet Ihr, schöner Prinz?
    Bolingbroke bat mit einer Geste um Ruhe, und der Lärm der dicht gedrängten Menge ebbte ab, bis nur noch ein leises Murmeln zu hören war.
    »Ich reite nach Westminster«, rief Bolingbroke, »um die Kapitulation des verfluchten französischen Königs entgegenzunehmen!«
    Die Menge jubelte auf, und Neville lachte bewundernd. Hal ließ die Menge glauben, dass er allein König Johann auf dem Schlachtfeld gefangen genommen hatte und dann ein Abkommen ausgehandelt hatte, damit ganz Frankreich zitternd vor dem niedersten englischen Bauern auf die Knie sank!
    Bolingbroke drehte sich kurz im Sattel um und grinste Neville verschwörerisch zu. Dann trieb er seinen Hengst an, während sich die Menge vor ihm teilte wie einst die Fluten des Meeres vor Moses.
    Als sie an Charing Cross vorbeiritten und Westminster vor ihnen aufragte, schloss Neville wieder zu Bolingbroke auf.
    »Sie würden dich gern als König sehen!«, rief er über das anhaltende Jubeln der Menge hinweg.
    »Glaubst du wirklich?«, sagte Bolingbroke, den Blick auf Thomas gerichtet. »Sollen wir womöglich doch auf das Gift zurückgreifen, Tom?«
    Und damit trieb er wieder sein Pferd an, ritt weiter und winkte der Menschenmenge zu. Neville folgte ihm mit dem Blick und fragte sich nicht zum ersten Mal, wie ehrgeizig Bolingbroke tatsächlich war.
    Wenn es ihnen gelang, Richard zu stürzen – und das war es doch, was sie vorhatten, nicht wahr? –, wer würde dann den Thron besteigen? Wer konnte für Englands Sicherheit sorgen, wenn nicht Bolingbroke?
    Richard hatte unter freiem Himmel, vor der Treppe, die zum großen Saal von Westminster führte, einen Tisch aufstellen lassen. Der Saal war wegen Renovierungsarbeiten geschlossen, denn Richard ließ gerade ein größeres Dach errichten, damit sein Regierungssitz umso prachtvoller wurde. Deshalb sollte das Abkommen auf dem Hof unterzeichnet werden, wo nicht nur die ranghöchsten Adligen des Königreichs zuschauen konnten, sondern auch das englische Volk, allerdings in sicherem Abstand hinter den Barrieren.
    Als Bolingbroke und Neville den Hof erreicht hatten, stiegen sie von ihren Pferden und wurden von Mönchen aus der Abtei von Westminster zu ihren Plätzen auf der Tribüne rechts neben dem Tisch geführt. Hier hatten sich bereits die mächtigsten Adligen mit ihren engsten Vertrauten versammelt, und Bolingbroke führte Neville direkt zu seinem Vater.
    »Lord Lancaster«, sagte Bolingbroke förmlich und begrüßte seinen Vater mit einer ebenso förmlichen Verbeugung. Katherine, die Herzogin von Lancaster, war nicht anwesend: Frauen waren bei diesem Anlass nicht erwünscht.
    Neville murmelte Lancaster ebenfalls eine Begrüßung zu und verneigte sich noch tiefer als Bolingbroke, doch Lancaster musterte ihn nur flüchtig, ehe er sich wieder seinem Sohn zuwandte.
    »Ich wünschte, Richard hätte auf meinen Rat gehört und würde dieses verfluchte Abkommen nicht im Freien unterzeichnen lassen.« Lancaster, der im Licht der Mittagssonne noch erschöpfter und blasser aussah als im trüben Kerzenschein des Savoy Palace, wies auf den Tisch, der mehrere Schritte entfernt stand. Er war mit Damasttüchern bedeckt

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