Diener des Boesen
den Kopf und sah Neville in die Augen, dann wandte er den Blick wieder ab.
Mary und Margaret müssen Richard ablenken, sagte sich Neville, trotz seiner Sorge um Margaret. Warum habe ich nur solche Angst um sie? Margaret weiß, was auf dem Spiel steht … sie weiß, was für ein Wagnis wir eingehen.
Doch jedes Mal, wenn Neville die Augen schloss, glaubte er eine riesige Spinne durch ein dunkles Gemach laufen zu sehen, die Margaret mit ihren abscheulichen Beinen packte und zu Boden zwang.
Nein! So etwas durfte er nicht denken! Bolingbroke hatte recht…Es würde nicht lange dauern, bis sie die Schatulle in ihren Besitz gebracht hatten, und Margaret würde keiner wirklichen Gefahr ausgesetzt sein. Alles würde gut werden. An diesem Nachmittag schon würde er die Schatulle in Händen halten und endlich die Wahrheit erfahren. Richard würde nur noch ein oder zwei Tage zu leben haben.
Neville lehnte sich an die Bootswand und gestand sich schließlich ein, dass er sich um Margaret sorgte. Er konnte nicht mehr länger leugnen, dass sie eine sittsame Ehefrau war und nicht die Hure, für die er sie anfangs gehalten hatte.
Sie besaß viel mehr Ehrgefühl und Mut, als er ihr ursprünglich zugestanden hatte, und ein von Natur aus vornehmes Wesen. Der Heiland möge sie behüten, damit ihr kein Leid geschehe. Der Heiland möge sie behüten…
Neville wiederholte das Gebet immer wieder im Geiste. In seinem gegenwärtigen Zustand äußerster Furcht und Angespanntheit fiel ihm nicht einmal auf, dass dies ein seltsames Gebet war für eine Frau, von der er einst sicher gewesen war, dass er ihr widerstehen könnte, um sie für die Ziele der Engel zu opfern.
Eine Frau, in die er sich auf keinen Fall verlieben würde.
Obwohl Mary die Nervosität der anderen um sie herum bemerkte, war ihr das volle Ausmaß dessen, was vor ihnen lag, nicht ganz bewusst. Sie wusste nur, dass Richard sich gegen ihren Gemahl gewendet hatte, der sich nichts hatte zuschulden kommen lassen, außer dass er strahlender und ruhmreicher war als der König. Da Richard Bolingbroke nicht empfangen würde, konnte Mary die Bitte ihres Gemahls verstehen, für ihn eine Audienz beim König zu erlangen, damit er Gelegenheit erhielt, diesem erneut unverbrüchliche Treue zu schwören. Es war zwar bedauerlich, dass der Schwur ihres Gemahls nicht in aller Öffentlichkeit stattfinden konnte, doch dazu würde keine Zeit mehr sein, da die Familie Lancaster schon bald nach Kenilworth reisen würde. Also musste es ausreichen, doch es würden gewiss genügend Zeugen anwesend sein.
Margaret würde sie begleiten, und Mary war sehr froh über ihren Beistand.
Sie konnte nicht ahnen, wie sehr sich Margaret vor der Begegnung mit Richard fürchtete.
Als sie am Kai von Westminster angelegt hatten, stieg Bolingbroke aus dem Boot und half zuerst Mary und dann Margaret beim Aussteigen. Es blieb kaum Zeit für Worte, nicht einmal für Gedanken, doch Bolingbroke drückte kurz Margarets Hand, als sie aus dem Boot auf den Kai trat: eine ermutigende Geste, die doch vollkommen nutzlos und unzureichend war.
Sie wandte den Kopf ab und blickte ihn nicht an, und Bolingbroke fragte sich, ob sie jemals wieder mit ihm sprechen würde.
Heute ist ein so wichtiger und entscheidender Tag, dachte er, und wir können nur hoffen, dass er uns den Sieg bringen wird. Aber ist der Sieg den Schmerz wert, den Margaret erleiden muss?
Und dann dachte Bolingbroke an die ewigen Qualen der Hölle, die sie erwarteten, sollten sie an diesem Tag scheitern und Neville Margaret nicht sein Herz schenken. Deshalb wappnete er sich und wandte sich von Margaret ab.
Er sah nicht, wie Neville Margaret einen solch besorgten Blick zuwarf, dass er Bolingbrokes Befürchtungen um einiges hätte lindern können, wenn er ihn gesehen hätte.
Arundel wartete am Flusstor auf sie, das in die Palastanlage von Westminster führte, und als sie sich ihm näherten, wechselte er ein paar leise Worte mit den Wachen, die ihre Lanzen hoben und Bolingbroke und seine Begleiter durchließen.
Bolingbroke blickte Arundel fragend an, und der Graf nickte.
»Wir haben getan, was wir konnten. Kommt. Wenn wir noch länger zögern, wird der König bereits zu seiner nachmittäglichen Jagd aufgebrochen sein.«
Sie nahmen rasch einen Weg, der in westliche Richtung führte, ehe sie sich entlang der Westmauer des großen Saals nach Süden wandten. Ein Großteil des alten Daches war verschwunden, und der Saal war nun den Elementen schutzlos ausgeliefert.
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