Dies beschissen schöne Leben: Geschichten eines Davongekommenen (German Edition)
seines Hotels hinunterstieg, um mich für die kommenden zwei Wochen mit Proviant einzudecken. Fürsorglich verstaute ich alles unter dem Rücksitz meines alten Käfers. Was dort keinen Platz fand, kam nach vorne unter die Blechhaube. Sauber zellophanverpackt, damit die Naturalien benzingeruchsfrei ihr Ziel erreichten. Ein knappes Jahr lang kam ich so über die Runden.
Als der drängende Stundenplan keine Taxifahrten mehr erlaubte, wurde es bedenklich. Denn jedes dritte Geldstück verschwand nun beim Buchhändler. Ich wollte, dass er mich mochte. Machte ich mit den vier bzw. acht sorgsam versteckten Büchern an seiner Kasse Halt, hielt ich immer ein Buch in Händen. Um es hochoffiziell zu bezahlen.
Es kam noch scheinheiliger: Gelegentlich brachte ich am nächsten Tag ein unbezahltes – inzwischen angelesenes und als fad verurteiltes – Buch zurück, beichtete laut und deutlich, dass ich, der zerstreute Bücherwurm, es gedankenverloren eingesteckt hätte und es hiermit, um Vergebung bittend, wieder an seinem rechtmäßigen Platz deponieren wollte. Kein Zweifel, die Heuchelei machte Eindruck, bald galt ich als besonders vertrauenswürdiger Kunde.
Um alle sonstigen Ausgaben auf ein Minimum zu reduzieren, suchte ich nach dem minderwertigsten Studentenzimmer. Ich fand es: zehn Quadratmeter, ohne Waschgelegenheit und Toilette. Dafür floss Wasser im Hinterhof, garantiert kalt und direkt neben dem Abort. Kühlschrank? Telefon? Radio? Fernseher? Ich hatte sie noch nie besessen, sie fehlten auch jetzt nicht.
Samstags marschierte ich in ein Öffentliches Brause- und Wannenbad . Ein paar muntere Greise und ich, ein halbwüchsiger Spindeldünner, tummelten sich dort ab zehn Uhr morgens unter dem warmen Strahl einer städtischen Dusche.
Ein Unheil verdunkelte eines Tages meine Träume. Onkel H . ging bankrott, er hatte sich übernommen. Millionenspekulationen fielen durch, hektarweise eingekaufte Wiesen wurden nie »Bauerwartungsland«, Kredite platzten, die Gerichtsvollzieher kamen und räumten ab. Nichts blieb mehr für mich, um in den Ferien ein paar Reisetaschen mit schmucker Garderobe wegzutragen und in einem Pfandhaus in Bares umzutauschen. Sogar das Hotel mit dem üppig ausgestatteten Kühlraum kam unter den Hammer.
Ich lernte hungern, genauer, noch effizienter hungern. Lieber den Körper schinden, als diese Leidenschaft, diesen Bücherwahn, in Gefahr zu bringen. Jetzt galt es, das preisgünstigste und zugleich kalorienreichste Mittagessen der Stadt ausfindig zu machen. Ich fand es: zwei Berner Würstel mit Pommes frites, dazu ein halbes Baguette und eine Karaffe Wasser. Das Ganze zum Preis eines Doppel-Reclamhefts. Diese Investition konnte ich mit Mühe vor mir rechtfertigen. Dass ich gelegentlich beim Verlassen des Restaurants zwei Semmeln vom Nebentisch mitgehen ließ, sei der Vollständigkeit halber noch erwähnt.
An den schulfreien Wochenenden lag ich im Bett – Rückenlage – und las. Je weniger ich mich bewegte, desto weniger Energie verbrannte mein Körper, desto später stachen die beißenden Signale des Hungers. Es galt, bis zu den nächsten zwei Berner Würstel – 24 Stunden später, nur gestützt von ein paar Marmeladebroten und einer Tasse Malzkaffee um Mitternacht – durchzuhalten. Eher war die Jause nicht möglich, denn erst um diese Zeit ging mein Nachbar schlafen. War es soweit, schlich ich hinaus auf den gemeinsamen Gang. Er wusste nicht, dass ich wusste, dass hinter dem Marienbild eine Steckdose lag, die auf seine Rechnung lief. Also schloss ich den Tauchsieder an und hielt ihn in die Tasse voller Wasser.
Eines Nachts bemerkte ich, dass mir bei diesem unerheblichen Akt der Nahrungsaufnahme fast keines der Utensilien gehörte: nicht der Strom, nicht die Tasse, nicht der Kaffee, nicht der Silberlöffel, nicht der Tauchsieder. Nur das Brot und die Marmelade hatte ich auf rechtmäßigem Weg erworben. Damit konnte ich leben. Was mich erschreckte: dass ich nicht mehr mit Gewissheit sagen konnte, wen ich worum erleichtert hatte. Mich meiner Opfer zu erinnern, hielt ich für das mindeste Zeichen von Dankbarkeit.
Die Züchtigung des eigenen Körpers ging weiter. Irgendwo hatte ich gelesen, dass Eintagsfliegen nie essen. Sie hätten, so stand da, in ihrem kurzen Leben Wichtigeres zu tun. Diese Zeilen begriff ich als Bericht über mich. Ich war eine Eintagsfliege.
Um auch die Marmeladebrote – sprich Zeitverlust und Geldverschwendung – loszuwerden, tüftelte ich an einer Vorrichtung aus
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