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Dies beschissen schöne Leben: Geschichten eines Davongekommenen (German Edition)

Dies beschissen schöne Leben: Geschichten eines Davongekommenen (German Edition)

Titel: Dies beschissen schöne Leben: Geschichten eines Davongekommenen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Altmann
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vorüber war, begann die Party und es wurde, sagen wir, ziemlich unziemlich. Der Hausherr stellte ein paar seiner Räumlichkeiten im ersten und zweiten Stock zur Verfügung. Wer aber wollte, konnte weiteressen, weiterreden, sich blau trinken.
    Ich blieb. Weil sie blieb. Sechs Meter entfernt, schräg gegenüber der langen Speisetafel, war sie der einzige Mensch, der sitzen geblieben war. Und erst in dem Augenblick, in dem ich selbst den Stuhl zurückschob, fiel sie mir auf. Vorher hatten zwei Dutzend Leute zwischen uns gesessen. Jetzt war die Sicht frei. Und sie war erfreulich. Während ich mich beiläufig wieder setzte, so als hätte ich nie weggehen wollen, kamen aus den Lautsprecherboxen die Stones mit As tears go by . »Das ist mein Lieblingslied«, sagte sie, einfach so, sechs Meter weit weg, »komm, lass uns tanzen.«
    Als ich auf sie zuging, war sie bereits aufgestanden. Ich wusste, dass ich jetzt gerade Glück hatte, nichts sagen musste, nichts vorführen musste, mich nur hingeben durfte an etwas, das so nachlässig und vielversprechend begonnen hatte. Wir nahmen uns bei der Hand und tanzten.
    Der Abend hatte kein Ziel, die Küsse reichten uns. Die waren schwer und endlos. Sodass wir Zeit brauchten, sie zu verdauen. Zudem hatten wir Angst, von Anfang an. Linda wohnte noch im Haus ihres (geschiedenen) Vaters. Die Neunzehnjährige beschrieb ihn als muskulösen Eiferer, der jedem anderen Mann die Prügelstrafe mit Todesfolge (sic!) versprach – falls er ihn im Bett seiner Tochter ertappen sollte. Todesfolge für beide. So war er. Wir mussten auf der Hut sein.
    Wir beschlossen zu gehorchen. Was die Sehnsucht nicht bremste, im Gegenteil. Die verordnete Keuschheit wirkte wie ein Aphrodisiakum. Schnell begriffen wir unsere langatmigen Schmusereien als Vorspiel auf den Tag X , die nächste Geschäftsreise des Vaters: jene Nacht eben, in der wir nichts falsch machen wollten.
    Das wurde ein guter Sommer in Salzburg. Festspielzeit. Ich war ein Engel. Ein Engelskomparse im Himmelschor. Ein Burgmime gab den Herrgott und ich durfte dreimal »Halleluja« schreien. Der Herrgott als Hofschauspieler war großartig. Während ich ihm zujubelte, dachte ich an Linda und verstand mein dreifaches Gejohle als Ausdruck von Freude über jemanden, der von so zärtlicher Vehemenz sein konnte wie sie.
    Eines Abends holte mich meine Freundin nach der Vorstellung ab und wir fuhren hinaus nach G ., wo die Villa ihres Vaters stand. Sie lächelte hintersinnig und ich wusste, der Hausbesitzer war auf Reisen. Das war unsere Stunde, die Stunde  X . Noch im Auto schlüpfte ich in die Badehose. Sie selbst trug unter dem T -Shirt und den Jeans einen weißen Bikini. Wir wollten vorher noch baden. Im familieneigenen Swimmingpool, zwischen Maulbeersträuchern und Rosenbeeten.
    Die Nacht war seltsam dunkel und undurchdringlich. Eine solche Finsternis machte uns Mut. Wir tauchten ins warme Wasser. Wer uns beobachten wollte, musste schon bis auf einen Meter herankommen, um zu erkennen, was wir vorhatten. Wir zogen uns gegenseitig aus. Wobei wir nicht eine Sekunde vergaßen, dass alles, was wir jetzt taten, mit möglichst wenig Lärm vonstatten zu gehen hatte. Keine hitzige Silbe, kein Seufzer sollte uns entschlüpfen. Die unheimliche Angst vor dem Vater verließ uns nie, auch jetzt nicht. Verschwiegen und wie hinter Glas vollführten unsere Lippen und Hände ihre Liebkosungen.
    Der Boden des Bassins war abgeschrägt. Langsam bewegten wir uns auf die Seite zu, an der das Wasser nur bis zum Bauchnabel reichte. Linda legte sich mit dem Rücken über den Rand und begeistert beugte ich mich nach vorne. Nichts wollte ich auslassen, nichts übersehen von dem, was sich so dunkel und verboten mir anbot. Gandhi fiel mir noch ein, der lästige Sittenapostel, der für derlei brisante Situationen empfahl, sich die Augen »sterilisieren« zu lassen. Als Notbremse. Ein Verrückter, dachte ich abwesend, und liebkoste mit dem Mund den Himmelskörper meiner Freundin. Wie alle Verliebten einer Sommernacht hauchten wir süßen Nonsens:
    »Magst du das?«, flüsterte ich.
    »Und wie«, flüsterte sie zurück.
    Vielleicht war es Einbildung, vielleicht wollte ich es einfach zu sehr, aber ihre Stimme klang so inständig, mit einem solchen Unterton von Alles-Haben-Wollen, dass ich glaubte, Zeit und Ort wären nun gekommen, um endlich das zu tun, was wir beide so närrisch ersehnten.
    Noch immer war die Nacht dunkelschwarz und die Umgebung ohne verdächtiges Geräusch. Nur

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