Dies beschissen schöne Leben: Geschichten eines Davongekommenen (German Edition)
zum gefährlichsten Land der Welt. Mit Johannesburg als gefährlichster Stadt.
Ken war einer der fünf Millionen Weißen im Land. Aber er war liberal und klug, hatte verstanden, dass die bisherige Vorherrschaft ihrem Ende zuging und dass ein modernes Land ohne Demokratie, sprich, ohne die dreißig Millionen »Ureinwohner«, nicht überleben konnte. Er begrüßte die Aussicht auf Wahlen. Er hasste nicht, aber er wusste um die lange Geschichte des Hasses.
Angefangen hatte die schwarz-weiße Vergangenheit im Jahr 1660, als sich die ersten europäischen Siedler zu einem folgenschweren Schritt entschlossen: Sie legten eine lange, hohe Hecke an. Da, wo sie anlandeten. Damit sie unter sich blieben und die anderen, die Nicht-Weißen, draußen. Dieses Dickicht aus bitteren Mandeln war der Grundstein ihrer Politik, war aller Anfang dieses seltsam englisch-deutschen Worts Apartheid .
Soweto liegt auch hinter dieser Hecke. Zwei, vielleicht drei Millionen Schwarze leben hier auf knapp hundert Quadratkilometern. Zu Beginn der sechziger Jahre waren sie hierher verfrachtet und abgestellt worden. Damit sie, die »Kaffer«, den weißen Wohngebieten der Weißen nicht zu nahe rückten und nicht die Seuchen der »bastardization« und »mishmash cohabitation« ausbrächen.
Eisenbahnschienen waren zwischen den So(uth) We(st) To(wnships) und dem fünfzehn Kilometer entfernten Johannesburg verlegt worden. Um sicherzustellen, dass der Schwarze als Arbeitstier erhalten blieb. Morgens rein in die Stadt, abends raus ins Elend. Mit den Verhandlungen zwischen dem noch amtierenden Staatspräsidenten Frederik Willem de Klerk und Nelson Mandela fingen die Unruhen an und die »train violence« ging durch die Weltpresse.
Finanziert wurde das jahrelange Blutbad von weißen Nationalisten, der sogenannten third force , die de Klerk als »Hochverräter« und die Aufhebung der Rassentrennung als »Hochverrat« betrachteten. Sie reagierten und statteten ihre schwarzen Arbeitnehmer mit Waffen, Geld und Alibis aus. Am 13. September 1990 fiel der Startschuss (das Wort passt): Um 17.04 Uhr verlässt ein Zug den Hauptbahnhof von Johannesburg in Richtung Soweto. Drei Stationen später betreten acht Männer einen Waggon und legen los. Der Rausch dauert vier Minuten, dann liegen 26 Leichen – erschossen oder erstochen – zwischen 106 Verwundeten. Die schwarzen Täter verschwinden, die schwarzen Opfer schweigen. Da tot oder tot vor Angst.
Wer überlebte, hielt den Mund. Niemand wurde verhaftet, niemand zur Rechenschaft gezogen. Darum kümmerten sich die Auftraggeber. Wie sie auch dafür Sorge trugen, dass die Lieblingstheorie der weißen Hasser für das Gemetzel im Gespräch blieb: Die barbarischen Wilden, die durch Züge marodieren, um ihre Stammesfehden auszutragen. Denn der Hintergedanke der blutrünstigen Kampagne war: der Welt zu beweisen, dass die »Nigger« nicht taugen für ein zivilisiertes Zusammenleben. Dass der Weiße herrschen und der Schwarze beherrscht werden muss.
Bevorzugtes Schlachtfeld waren die Züge zwischen Joburg und den Vorstädten. Täglich riskierten ein paar Hunderttausend Pendler als potentielle Opfer ihr Leben. Alles Schwarze. Während der gesamten Zeit, die wir mit ihnen unterwegs waren, sahen wir nie einen Weißen. Auch in der ersten Klasse fuhr hier niemand in die Dritte Welt. Doch, eine Ausnahme: der Zugführer. Aber nur in Begleitung von zwei schwer bewaffneten Bodyguards wagte er sich an seinen Arbeitsplatz.
Als Ken und ich uns trafen, war die Blutspur bereits enorm angeschwollen. Das Land fieberte und ich lernte einen Mann kennen, der von einer Angst in die nächste jagte. Und sie jedes Mal überwand und im genau rechten Augenblick unheimlich mutig auftrat. Die Angst schien die Voraussetzung für seine Courage. Das eine bedingte das andere.
Wir haben uns oft angebrüllt, so blank lagen die Nerven, so nah lag das Lauernde. Wobei es in seiner Nähe öfter zuschlug, denn Ken trug die Wertgegenstände mit sich herum: Seine Kameras wirkten wie Goldkisten auf die arbeitslosen Desperados. Vor Jahren schon war er von Kollegen zum »most mugged photographer« gewählt worden. Keiner von ihnen war so oft beraubt worden. Und immer davongekommen. Mit heiler Haut, mit dem ganzen Leben.
Jeden Morgen brachen wir auf in den Krieg. Und wenn wir abends nach Hause kamen, dann zitterten wir noch immer. Vor Angst, aber auch vor Glück, denn der adrenaline flow war enorm. Natürlich fuhren wir nicht nach Hause, nein, wir preschten. Ken
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